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Ausgabe 21

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SLAPSTICK ‘68
Benno-Ohnesorg-Kongreß vom 30.5. bis 1.6.97 in der TU Berlin
Vor 30 Jahren, am 2. Juni 1967, wurde der Student Benno Ohnesorg
während der Teilnahme an einer Demonstration gegen den Staatsbesuch
des Schahs von Persien von der Polizei erschossen. Dies trug damals entscheidend
zur Radikalisierung der Studentenbewegung mit bei und zu dem, was heute
"Achtundsechziger" genannt wird. 30 Jahre sind einen Kongreß wert,
zumal einige "Junge" von den "Alten" Perspektiven oder die Benennung von
Problemen erhoffen und diese wiederum wissen wollen, warum die Mehrheit
der "Jugend von heute" lieber zur Love Parade geht.
Nach 30 Jahren ist längst nicht alles aufgearbeitet. Als sich am
ersten Kongreßabend schon abzeichnete, daß die 68er Generation
und die Jugendlichen erhebliche Kommunikationsprobleme miteinander hatten
(unter anderem wurde den Älteren vorgeworfen, sie würden sich
mit Privatanekdötchen selbstbeweihräuchern), hofften viele noch
auf eine bessere Verständigung in den einzelnen Arbeitsgruppen am
nächsten Kongreßtag.
Dieser allerdings gewann an Schärfe dazu:
Zum einen kam es zu einem filmreifen Höhepunkt in der Arbeitsgruppe
der zur Zeit in zwei Fronten aufgespalteten Tageszeitung junge Welt. Hier
soll nicht der Konflikt wiedergegeben werden, sondern das Problem, an dem
der Kongreß scheiterte und an dem die junge Welt wohl über kurz
oder lang ebenso zugrunde gehen wird: die sogenannte Linke war nicht in
der Lage, einen zivilisierten, konstruktiven und sachlichen Streit zu führen.
Als nach drei Stunden Diskussion in der AG junge Welt keine der beiden
Parteien von ihrer Position abgerückt war, hielten es die Redakteure
der jungle World, die die Redaktionsräume zum Zeitpunkt des Kongresses
besetzt hielten, offenbar für gerechtfertigt, dem Geschäftsführer
Dietmar Koschmieder eine Sahnetorte ins Gesicht zu klatschen. Daraufhin
löste sich die Veranstaltung auf. Beim anschließenden Kongreßplenum
aller Arbeitsgruppen wurde eine Resolution zur Abstimmung gestellt, die
eine Distanzierung des Kongresses von der Tortenaktion verlangte. Die übergroße
Mehrheit schüttelte sich vor Lachen und wies den Antrag ab.
Die zweite große Auseinandersetzung am Sonnabend hatte das Ex-SDS-Mitglied
sowie Ex-Kommunarde Rainer Langhans zum Gegenstand. Es wurde von mehreren
Kongreßteilnehmern auf dessen pro-faschistischen Äußerungen
in Interviews und Büchern hingewiesen und gefordert, im Nachhinein
seinen Auftritt in Arbeitsgruppen und auf dem Podium zu mißbilligen.
Günther Langer dagegen sprach sich gegen diese "stalinistischen Methoden"
aus, man müsse jedem das Recht auf freie Rede zugestehen. Dagegen
wurde wiederum protestiert, unter anderem von einem Teilnehmer, der mit
den Worten: "Na super, wir ham’s ja heute so liberal!" ein Exemplar der
rechten Zeitung "Junge Freiheit" dem ebenfalls im Publikum sitzenden Tilmann
Fichte anbot, einem für seine deutschnationale Position bekanntem
SPDler. Dieser verschwand recht bald, Rainer Langhans jedoch blieb im Saal.
Am 1. Juni sollte zum Abschluß des Kongresses die "Radikale Opposition
heute" diskutiert werden. Dieses Thema wurde zwar nicht debattiert, dennoch
ging es um nichts anderes. Gleich zu Anfang wurde die Diskussion um den
"Esotherik-Faschisten" Langhans wieder aufgenommen. Pascal Beurer, Redakteur
der uni-konkret, drohte, die Unterstützung des Kongresses durch die
konkret zurückzuziehen, falls Langhans auf das Podium gelassen werde.
So verging eine Viertelstunde, ohne daß man zum eigentlichen Thema
der Debatte gekommen war. Plötzlich entlud sich die Stimmung auf dem
Podium in einem Handgemenge zwischen Günther Frech von der IG Medien
und Günther Langer, an dem sich spontan weitere Besucher beteiligten.
Etliche Leute verkündeten, jetzt zu gehen, da sie sich einer solchen
Linken in keiner Weise zugehörig fühlten. Nach einigen Minuten
gelang es Jutta Ditfurth, das Wort zu ergreifen. Zur Begründung, wieso
Langhans keine Redefreiheit auf dem Kongreß haben dürfe, führte
sie zahlreiche Zitate von ihm an, wie zum Beispiel Äußerungen,
nach denen "Spiritualität in Deutschland Hitler" heiße und wir
die "Hochkultur des SS-Todeskultes verstehen und bewundern" sollten. "Wenn
wir nicht einmal die strikte Abneigung solcher Statements gemeinsam haben,
dann gibt es keine Gemeinsamkeiten!" schloß Ditfurth. Da die ursprünglich
für das Podium vorgesehenen Leute nach den Handgreiflichkeiten keine
Lust mehr hatten, auf das Podium zurückzukehren, löste sich der
Kongreß vorzeitig auf. Viele Teilnehmer gingen zur Parallelveranstaltung
in der SfE im Mehringhof, die zwar völlig überfüllt war,
aber weitaus sachlicher verlief. Vor dem Aufbruch wurde Rainer Langhans
allerdings noch ein blauer Farbbeutel verpaßt. - Allerfeinster Slapstick,
Kommunikationsstörungen zwischen Jungen und Alten und eine geplatzte
Abschlußdemonstration: nach diesem Kongreß muß wohl noch
mehr aufgearbeitet werden als vorher. Vielleicht von der nächsten
Generation.
Julie
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