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Ausgabe 21
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Kommentar: Ziel verfehlt
von Benjamin Kiesewetter
Es gelingt mir in letzter Zeit immer seltener, durch die Stadt zu laufen,
ohne die abscheulichen Plakate der Aktion "Mehr Zeit für Kinder" sehen
zu müssen, an der angeblich für mehr Kinderfreundlichkeit geworben
werden soll.
Auf diesen Plakaten ist jeweils ein Kinderkopf zu sehen, dem ein Baustellenschild
vors Mundwerk gesetzt geworden ist. "Außer Betrieb" steht dort zu
lesen oder gar "Defekt - wegen Vernachlässigung."
Außer Frage steht, daß Vernachlässigung von Kindern,
neben dem Machtmißbrauch (Erziehung), zu den größten Gemeinheiten
gehört, die man jungen Menschen antun kann. Welches Bild von Kindern
wird aber durch solche Werbung transportiert?
Kinder werden nicht nur als Objekte betrachtet, wie wir während
unserer kinderrechtlichen Arbeit immer wieder feststellen müssen,
sondern sogar als Maschinen - und das von einem Verein, der sich als Kinderlobby
versteht. Wenn man Kinder zu wenig ölt, dann gehen sie eben kaputt.
Zu wenig Input an Beschäftigung, und schon defekt. Es hilft also nur
noch der (Seelen-)klempner, die Werkstatt, das Erziehungsheim. Der Vergleich
zwischen Menschen und Maschinen wird tatsächlich ganz konsequent gemacht.
So wünschten sich Erziehungsideologen doch schon immer das Kind als
Auto, als sie davon sprachen, man müsse Kinder in die richtigen Bahnen
"lenken".
Das Plakat richtet sich an Eltern wie die Erwachsenengesellschaft mit
der Botschaft: "Kümmert Euch um die Kinder - sie brauchen Hilfe".
Diese Botschaft ist genauso korrekt wie notwendig. Die unterschwellige
Botschaft aber, die Kindern - aber genauso der Erwachsenengesellschaft
- durch dieses Plakat vermittelt wird, ist ein Verhängnis, ein radikalere
Zuweisung des Objekt-Status an Kinder habe ich noch nicht erlebt.
Anstatt, daß die entscheidende Kinderfeindlichkeit sichtbar gemacht
wird (zu der ja gerade gehört, daß Kinder als Objekte betrachtet
werden), wird sie hier im Wesensgehalt verstärkt. Wieso heißt
es nicht "Kinder sind kleine Menschen, die große Rechte brauchen",
wie es inzwischen schon Außenminister Kinkel formulierte? Wieso nicht
"Kinder haben ein Recht auf Unterstützung und Hilfe"? Und wieso wird
die Gefahr nicht gesehen, daß Eltern Mehr-Zeit-für-Kinder-Aufrufe
möglicherweise so verstehen, daß sie Kindern Zeit mit ihnen
aufdrängen? Wieso heißt es nicht im Gleichschritt (im Sinne
E. v. Braunmühls): "Zeit für Kinder ist immer Zeit gegen Kinder,
wenn sie ihnen aufgedrängt wird"?
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