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Ausgabe 23

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Zur Bundestagswahl: Parteien im Vergleich
Im November 1997 wurden auf dem 1. Jugendkongreß
der Stiftung für die Rechte zukünftiger
Generationen "Neue Generationenverträge" erarbeitet. Die Wahlprogramme
der Bundestagsparteien wurden mit den zentralen Forderungen der Generationenverträge
verglichen. Wie man sieht, sind unsere K.R.Ä.T.Z.Ä.-Positionen
gut vertreten. Hier nun die wichtigsten Stellen des Generationenvertragen
"Gleichberechtigung der Generationen":
Kinder und Erwachsene sind gleichberechtigt. Das Alter darf kein Kriterium
zur Vorenthaltung von Grundrechten sein. Kinderschutz darf nicht Einschränkung,
sondern muß Stärkung von Rechten bedeuten. Zur Logik der intergenerationellen
Gerechtigkeit gehört es, daß Grundrechte nicht von Fähigkeiten
und Pflichten abhängen.
Das Züchtigungsrecht wird abgeschafft. Erziehung darf kein Vorwand
für die Außerkraftsetzung von Grundrechten sein. Das Züchtigungsrecht
ist der eklatanteste und offensichtlichste Verstoß gegen intergenerationelle
Fairneß.
Die Altersgrenze beim aktiven und passiven Wahlrecht wird auf allen
Ebenen abgeschafft. Auf politischer Ebene ist die zentrale Ungerechtigkeit
den jungen Menschen gegenüber, daß sie aus der Demokratie ausgesperrt
werden. Das Argument, Kinder besäßen nicht die Fähigkeit
/ Reife zum Wählen, ist irrelevant, da auch Erwachsene nicht auf ihre
Wahlfähigkeit hin überprüft werden dürfen. Es gibt
in der Demokratie keine Instanz, die über die Qualität einer
Wahlstimme entscheiden kann.
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CDU |
SPD |
Bündnis 90 / Die Grünen |
F.D.P. |
PDS |
Kinder kommen als Subjekte vor |
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:-| |
:-) |
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:-) |
Gleichberechtigung der Generationen |
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:-( |
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Abschaffung des Züchtigungsrechtes |
:-( |
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:-) |
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Abschaffung der Altersgrenze beim Wahlrecht |
:-( |
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:-( |
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:-( |
Beantwortung der Prüfsteine |
:-( |
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:-| |
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:-( |
:-( = Keine Übereinstimmung
:-| = teilweise Übereinstummung
:-) = völlige Übereinstimmung
- = keine Erwähnung
CDU
Im Wahlprogramm der CDU kommt das Kind als Subjekt und Träger
eigener Rechte überhaupt nicht vor. Nur im Zusammenhang mit Familie
und Ehe wird die Situation von Kindern angesprochen. Erst wenn Kinder und
Jugendliche kriminell werden, sind sie bei der CDU als eigenständige
Persönlichkeiten dargestellt ("Auf kriminelle Taten Jugendlicher hat
eine unmißverständliche strafrechtliche Sanktion zu folgen").
Infolgedessen wird Gleichberechtigung der Generationen nicht erwähnt.
Auch in der Beantwortung der Prüfsteine wird mit keinem Wort auf dieses
Thema eingegangen.
Das Züchtigungsrecht kommt im Wahlprogramm nicht vor, jedoch wird
bei der Beantwortung der Prüfsteine die Aussage getroffen, daß
die CDU "Kinder vor Gewalt und Mißhandlung, insbesondere in der Familie,"
bewahren will. Wir sehen trotzdem keine Übereinstimmung, da die CDU
am Status quo bzgl. des Züchtigungsrechtes festhalten will. Dieses
verbietet zwar körperliche und seelische Mißhandlungen, schließt
aber Gewalt an Kindern nicht definitiv aus. An der vor kurzem von Bundesjugendministerin
Claudia Nolte getroffenen Aussage, ein "Klaps" auf den Hintern sei bei
Kindern manchmal "notwendig", kann man auch keine ernsthafte Auseinandersetzung
mit der elterlichen Gewalt an Kindern erkennen. Wir sehen schon in dem
Begriff "Klaps" eine Gewaltverharmlosung, weil suggeriert wird, es handle
sich dabei um einen freundschaftlichen Klaps. Dieser kann aber nicht gemeint
sein, weil kein ernsthafter Mensch behaupten kann, daß der "manchmal
notwendig" sei. Diese Aussage macht vielmehr deutlich, daß es um
körperliches Strafen geht.
Zum Wahlrecht gibt es im Wahlprogramm der CDU keine Aussage, bei der
Beantwortung der Prüfsteine wird aber die Position vertreten, daß
das Wahlrecht an Pflichten gebunden sei. Dies steht im direkten Gegensatz
zu den Aussagen im Generationenvertrag, auf die nicht eingegangen wird.
Außerdem verweist die CDU auf Jugendgemeinderäte, in denen Jugendliche
"ihre Interessen umfassend" einbringen könnten, "etwa wenn es um Jugendeinrichtungen,
den Schulweg oder den örtlichen Umweltschutz geht". Weitere Interessen
spielen keine Rolle. Dies macht deutlich, daß die CDU grundsätzliche
Rechte von Kindern nicht ernstnimmt.
Zwar bezieht sich die CDU auf die gestellten Fragen, doch wird sie
den gestellten Anforderungen nicht gerecht. So schafft sie es in der Beantwortung
der Frage nach der Gleichberechtigung in keinem Satz auf die Rechtssituation
der Kinder einzugehen und stattdessen in drei Absätzen thematisch
völlig verfehlt über demographische Entwicklung, Sozialversicherungssysteme
und Erziehungsleistung der Eltern zu berichten. Auch wird in der Beantwortung
der Fragen nach Züchtigungsrecht und Wahlrecht nicht auf die Argumente
des Generationenvertrages eingegangen.
SPD
Die SPD erkennt den Subjektstatus von Kindern grundsätzlich an,
indem sie ihnen eigene Rechte zugesteht und ihre Menschenwürde für
schützenswert hält. Im gleichen Atemzug werden Kinder jedoch
zu Erziehungsobjekten erklärt. Auch wird der Schwerpunkt auf die Rechte
von Eltern und Erziehenden gesetzt, anstatt auf die der Kinder und Jugendlichen.
Deshalb sehen wir hier nur teilweise Übereinstimmung.
Zu Gleichberechtigung, Züchtigung von Kindern und Wahlrecht finden
sich keine Aussagen im Wahlprogramm. Die Prüfsteine blieben unbeantwortet.
Die weitgehende Nichtbeachtung der Rechte von Kindern in Familie und
Politik und die Nichtbeantwortung unserer Fragen werten wir als Ignoranz.
Bündnis 90 / Die Grünen
Die Bündnisgrünen unterstreichen an mehreren Stellen ihres
Programms den Subjektstatus von Kindern, indem sie z.B. fordern, "daß
Kinder und Jugendliche als eigenständige Personen anerkannt werden."
Hier sehen wir eine Übereinstimmung mit unserem grundsätzlichen
Verständnis.
Gleichberechtigung der Generationen kommt im Programm nicht vor, auf
den entsprechenden Prüfstein reagiert die Partei jedoch. Nach Meinung
von Bündnis 90 / Die Grünen seien Grundrechtseinschränkungen
bei Kindern "durchaus sinnvoll", "weil von einem Kind oder Säugling
die Wahrnehmung bestimmter Grundrechte nicht erwartet werden kann". Hier
wird das Recht des Kindes wieder abhängig gemacht von Fähigkeiten
und Stärke. Auf die ausdrückliche Argumentation des Generationenvertrags,
daß mit dieser Verknüpfung ausgerechnet den Schwächsten
die für sie gedachten Minderheitenrechte vorenthalten blieben, geht
die Partei nicht ein. Weiterhin wird in dem Antwortbrief argumentiert:
Kindern "die vollen Grundrechte zuzubilligen würde bedeuten, sie z.B.
auch voll mündig für Straftaten zu machen". Diese Aussage ist
schlicht falsch, weil das Strafrecht mit dem Grundgesetz gar nichts zu
tun hat. Für diesen Bereich erhalten Bündnis 90 / Die Grünen
deshalb eine negative Wertung.
Von allen Parteien formulieren Bündnis 90 / Die Grünen am
deutlichsten in ihrem Wahlprogramm: "Wir wollen, daß gesetzlich unmißverständlich
klargestellt wird, daß Kinder gewaltlos zu erziehen sind. Ein Recht
zum Prügeln von Kindern darf es nicht geben." Hier sehen wir eine
Übereinstimmung mit der Forderung, das Züchtigungsrecht abzuschaffen.
Bündnis 90 / Die Grünen fordern in ihrem Programm eine Herabsetzung
des Wahlalters auf 16 Jahre. Die Forderung des Generationenvertrages, die
Altersgrenze abzuschaffen, "würde in der Praxis auf das von den Konservativen
favorisierte ‚Elternwahlrecht‘ hinauslaufen". Diese Aussage zeigt, daß
die Parteivertreterin den erarbeiteten Generationenvertrag offensichtlich
nicht einmal gelesen hat, in dem nämlich unmißverständlich
steht: "Weiterhin bleibt das Wahlrecht ein ‚persönliches Recht‘, das
nicht stellvertretend ausgeübt werden darf. Sollten Eltern für
ihre Kinder das Wahlrecht erhalten, wären junge Menschen wiederum
von der direkten Mitbestimmung ausgeschlossen." Sowohl die Ausführungen
zur "praktischen Realisierung" als z.B. auch die Unterscheidung von Schutz-
und Ordnungsrechten, die im Generationenvertrag vorgenommen wird, ignoriert
die Partei. Genau wie die CDU argumentiert sie mit der Bedingtheit von
Rechten und Pflichten in einer Person, obwohl diese – wie ausführlich
im Generationenvertrag begründet – jeglichen Sinn von Menschenrechten
komplett verfehlt. Zitat: "(...)wie sollte man [bei einer Abschaffung der
Altersgrenze beim Wahlrecht] die eingeschränkte Geschäftsfähigkeit
und Strafmündigkeit, die ja dem Schutz von Kindern dienen, begründen?"
Als würden andere Grundrechte – wie z.B. die Meinungsfreiheit – von
der Geschäftsfähigkeit oder Strafmündigkeit abhängig
gemacht werden. Deshalb eine negative Bewertung der Bündnisgrünen
an dieser Stelle.
Für die Beantwortung der Prüfsteine erhalten Bündnis
90 / Die Grünen zwar die beste Bewertung aller Parteien, nicht jedoch
eine gute Bewertung. Der Aufforderung, sich vor allem zu der grundsätzlichen
Argumentation des Generationenvertrags zu äußern, kommen sie
überhaupt nicht nach. Im Gegensatz dazu verwenden sie Argumente, die
in dem Vertrag widerlegt werden. Positiv anzumerken ist, daß sie
wenigstens alle Fragen konkret beantwortet haben.
F.D.P.
Das Kind wird als Subjekt oder Träger von Rechten nicht erwähnt.
Die F.D.P. schreibt im vorläufigen Wahlprogramm zwar (übereinstimmend
mit dem Generationenvertrag): "Alle Menschen sind verschieden. In ihrer
Menschenwürde und vor dem Gesetz hingegen sind alle Menschen gleich."
Es wird jedoch nicht deutlich gemacht, daß dies auch für Kinder
gilt. Da dies rechtlich und tatsächlich für Kinder zur Zeit nicht
gilt, müßte die F.D.P. es schon explizit deutlich machen, wenn
sie an dieser Situation etwas ändern wollte.
Zum Züchtigungrecht gegenüber Kindern und zum Wahlrecht äußert
sich die Partei in ihrem Programm einfach nicht. Auch auf die Prüfsteine
hat sie nicht geantwortet.
Dies alles werten wir – wie bei der SPD – als Ignoranz.
PDS
Die PDS macht an vielen Stellen im Wahlprogramm deutlich, daß
sie den Subjektstatus von Kindern anerkennt. Das Kind wird als Rechtsträger
erwähnt.
Sie fordert die Ergänzung des Grundgesetzes um einen Artikel,
der die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen regeln soll. Diese Gedanken
sind zwar aus kinderrechtlicher Sicht relativ fortschrittlich, grundsätzlich
ist aber anzumerken, daß es nicht hauptsächlich um spezielle
Rechte von jungen Menschen, sondern um die Gültigkeit aller Grundrechte
für sie gehen muß. Die PDS stellt als einzige Partei fest: "Für
ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen sind Gleichstellung und
Gleichberechtigung aller Menschen unentbehrlich – und zwar unabhängig
von Geschlecht, Alter, (...)". Da diese Aussage unlogischerweise z.B. in
der Wahlrechtsfrage wieder zurückgenommen wird, sehen wir allerdings
nur teilweise Übereinstimmung.
Zum Züchtigungsrecht macht die PDS keine explizite Aussage. Der
Satz "Kinder sollen selbstbewußt und gewaltfrei aufwachsen" ist uns
zu allgemein. Auch Parteien wie die CDU, die am elterlichen Züchtigungsrecht
festhalten, formulieren solche Sätze. Für uns muß deutlich
werden, daß "körperliche und seelische Strafen" (Generationenvertrag)
generell abgelehnt und das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft
gehört.
In der Forderung, das aktive Wahlalter auf allen Ebenen auf 16 zu senken,
sehen wir keine Übereinstimmung mit dem Generationenvertrag, in dem
klargestellt wird: "Eine Herabsetzung des Wahlalters auf beispielsweise
16 Jahre ist keine Alternative. Das Grundproblem, nämlich der Ausschluß
bestimmter Bevölkerungsgruppen von der gleichberechtigten politischen
Mitbestimmung, bliebe damit unangetastet. (...)"
Sehr ärgerlich ist das Verhalten der PDS in Bezug auf die Beantwortung
der Prüfsteine. Obwohl die Parteien extra darum gebeten wurden, Fragen
konkret zu beantworten, hat die Partei einfach Textpassagen aus Programmen
kopiert. Im Falle unseres Arbeitskreises kommt die erschwerende Tatsache
hinzu, daß hier nur Passagen zum Kindschaftsrecht beigelegt wurden,
indem es fast ausschließlich um Elternrechte geht.
Keine Partei schneidet bei unserer Überprüfung gut ab.
Insgesamt halten wir das Ergebnis für katastrophal. Dies ist wohl
auch Ergebnis davon, daß Nichterwachsene kein Wählerpotential
für die Parteien darstellen.
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