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Ausgabe 18

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Kinderarbeit
Mehr Verbote und weniger Rechte zum Schutz von Kindern?
Erstmals werden nun auch in Deutschland Stimmen laut, die im Zusammenhang
mit weltweiten Kampagnen zur "Ächtung von Kinderarbeit" (Norbert Blüm)
eine Verschärfung der deutschen Jugendarbeitsschutzbestimmungen fordern.
Mit der Begründung, Kinderarbeit sei ein Verbrechen, fordert ein deutsches
Komitee das Verbot von Kinderarbeit bis zum vollendeten 16. Lebensjahr
in Deutschland.
In Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, wird versucht, durch
ein allgemeines Verbot von Arbeit Kinder vor Gefahren und Ausbeutung zu
beschützen. Kinderarbeit in Deutschland gibt es nicht mehr, wurde
allgemein behauptet. In den Untersuchungen darüber, die in den letzten
fünf Jahren z. B. in Nordrhein-Westfalen oder in Hessen gemacht wurden,
stellte sich heraus, daß Kinder hier gewöhnlich zwischen 12
und 14 Jahren anfangen zu arbeiten. In Hessen arbeiten bereits 34%, bevor
sie das 6. Schuljahr abgeschlossen haben, d.h. als sie noch nicht 11 Jahre
alt waren. Sobald sie 14 Jahre alt sind, haben bereits drei von vier Kindern
in Hessen Arbeitserfahrungen außer Haus gesammelt. Wenn sie die Schule
beenden, haben bereits 80% der Jugendlichen gearbeitet. Diese Kinder verhalten
sich illegal, da nach dem deutschen Jugendarbeitsschutzgesetz das Arbeiten
von schulpflichtigen Kindern verboten ist.
Bei den Kindern seien allerdings die negativen Meinungen zu Kinderarbeit
viel seltener als die positiven, wertet der Berliner Soziologe Manfred
Liebel die Ergebnisse der Studien aus. "Sie sehen ihre Arbeit als Gelegenheit,
ein selbständigeres und interessanteres Leben zu haben". Das in
allen Umfragen dominierende Motiv sei es, Geld verdienen zu wollen. Auch
wenn der Verdienst der Arbeit keine Grundbedürfnisse decke und er
nicht unverzichtbar sei, um zu überleben (wie es in den armen Ländern
der Fall ist), so zeige das Motiv nicht einfach, daß die geldverdienenden
Kinder in Deutschland dem "Konsumismus" verfallen. Mittels ihres eigenen
Einkommens versuchen die Jugendlichen, sich unabhängig zu machen von
den Eltern, deren Verhaltensnormen und Konsumstandards, und sie wollen
Zugang bekommen zu dem, was traditionell Privileg der Erwachsenen ist.
Nur sehr wenige Kinder teilten die offizielle Haltung, daß Kinderarbeit
einzig und allein Ausbeutung billiger Arbeitskräfte sei oder schädlich
für die Entwicklung des Kindes.
Außerdem stellt sich die zentrale Frage: Ist
ein Arbeitsverbot sinnvoll, um Ausbeutung zu verhindern? Selbst
in Lateinamerika wehren sich arbeitende Kinder gegen Arbeitsverbote. Wer
nur die möglichen Gefahren und negativen Folgen der Kinderarbeit für
Bildung und Gesundheit wahrnimmt, wägt nicht den Preis ab, den die
Kinder zahlen müßten, wenn sie nicht arbeiten würden,
betont Manfred Liebel. Anliegen von Kinderorganisationen ist es, unter
Bedingungen arbeiten zu können, die es erlauben, in Freiheit und Würde
zu handeln und sich zu entwickeln. Sie setzen sich für ein Recht
auf Arbeit ohne Altersbeschränkung ein. Sie verlangen gleichen
Schutz vor Ausbeutung und eine Bezahlung, die dem Wert ihrer Arbeit entspricht.
Viele wollen eine Kindheit und Jugend, die grundverschieden ist von dem
Infantilismus ("Verkindlichung"), der ihnen bis heute durch eine von Erwachsenen
dominierte Gesellschaft zugemutet wird.
Bei Kinderarbeit denken wir an Mißbrauch, Ausbeutung, Elend und
zerstörte Kindheit. Vorteile wie Selbstbestimmung, Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben, Anerkennung, eigenes Eigentum und damit Unabhängigkeit kommen
uns daher gar nicht erst in den Sinn. Wichtig ist zu unterscheiden,
daß nicht Kinderarbeit sondern Armut dazu führt, daß für
Kinder (wie auch für Erwachsene!) Arbeit zu einem Zwang wird. Es ist
die Armut, die Gewalt hervorruft, die es Kindern unmöglich macht,
frei zu entscheiden, womit sie sich beschäftigen wollen. Bei Arbeit
denken wir meist nur an eine bezahlte Arbeit (Lohnarbeit) mit Arbeitsvertrag,
Sozialversicherung und Kündigungsfrist. Was aber alles an unbezahlter
Arbeit ohnehin schon von Kindern geleistet wird, wird daher gar nicht als
Arbeit verstanden und anerkannt.
Womit läßt es sich begründen, Kindern den Zugang
zum Geld zu verbieten? In einer Gesellschaft, in der sich der Zugang
zu Lebenschancen besonders über die Verfügbarkeit von Geld reguliert,
bedeutet das Verbot Geld zu verdienen, auch die Ausgrenzung von einer Möglichkeit
gesellschaftlicher Beteiligung und Einflußnahme. Stattdessen wäre
es wesentlich sinnvoller, über Möglichkeiten nachzudenken, daß
Kinder bezahlt werden können, wenn sie für andere etwas tun.
Wer wirtschaftlich aktiv und produktiv sein kann, hat es in unserer Welt
leichter, Respekt zu erlangen und eine ohnmächtige, ausgegrenzte Lage
zu überwinden. Erst durch ein Recht zu arbeiten ohne Altersbeschränkung
wird es meines Erachtens Kindern, die bereits arbeiten oder arbeiten wollen,
ermöglicht, anerkannt und gewürdigt zu werden mit dem, was sie
tun.
Christoph Klein
K.R.Ä.T.Z.Ä. in Nicaragua - Über
unser vierwöchiges Treffen mit der Bewegung der arbeitenden Kinder
Die Arbeit der Kinder in Nicaragua
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