<< zurück zur Ausgaben-Übersicht
Ausgabe 18

|
NIE WIEDER SCHULE!
Die wahren Schulbücher
besprochen von Benajmin Kiesewetter
1. ZWANGSLEKTÜRE
Eine bekannte Unart der Schule ist es, ihren Häftlingen jährlich
mehrere Schriftstücke aufzudrängen, die im Deutschunterricht
bis zur Ungenießbarkeit durchgekaut werden. So wird nicht nur interessantes
literarisches Werk im Leben des entlassenen Schülers nie wieder den
Standard erreichen, bei dem bei seiner Erwähnung kein jaulender Verzweiflungsschrei
ertönt. Sondern die Schüler müssen sich vor allem deutschstundenweise
mit den langweiligsten Schinken voriger Jahrhunderte beschäftigen,
obwohl ein Großteil von ihnen diese -unerklärlicherweise- auch
nicht im geringsten interessieren. Jochen Duderstadt übt Rache. 25
dieser -wohlformuliert ausgedrückt- "Schul-klassiker" werden
von ihm im Schnellverfahren inhaltlich erklärt, gedeutet, kritisiert
und - was die qualvollen Leiden in der Schule immerhin ein bißchen
verringern läßt - parodiert. Dabei sind Schillers "Sandale
und Hiebe", Hesses "Shitharder", Brechts "kaukasischer
Leidescheiß", sowie Dürrenmatts "Dichter und sein
Denker" und vieles anderes. Der Autor selbst mußte sich seinerzeit
dank zweimaligem Schulwechsel drei Mal mit Schillers "Don Carlos"
(oder auch: "Charly aus'n Pütt") herumschlagen und dachte
daher, nach einer solchen Wiederkäuung hätte doch wenigstens
ein bißchen vom Inhalt hängenbleiben müssen. Aber nichts
- außer vielleicht ein Wortwechsel: "Sie wollen mich doch nicht
ermorden?" - "In der Tat! Das bin ich sehr gesonnen."
Das Buch "Zwangslektüre" ist sehr sinnvoll. Das Inhaltliche
als Nachschlagwerk für Ehemalige, die alles Zusammenhängende
natürlich sofort nach der Deutscharbeit verworfen haben und die Parodie
als Entschädigung für die Schüler, die in Zukunft wohl verstanden
haben, worum es hier denn ginge, und trotzdem mit einer gewissen Leichtigkeit
und einem leicht verschmitztem Lächeln dem Treiben der Deutschstunde
beobachtend im kalten Schulzimmer sitzen werden und sich auf das Ende der
grauen Schulzeit freuen.
JOCHEN DUDERSTADT: Zwangslektüre / Die 25 meistgelesenen Schulklassiker.
Inhalt - Bedeutung - Parodie / Eichborn Verlag 1996 / 24, 80 DM
2. ABI FÜR FAULE
"Fit fürs Leben, aber keine Lust, Energien unnötig für
die Schule zu ver(sch)wen-den?" Mit dieser Frage lockt der Verlag
Leser für das Buch. Auf 80 kurzweiligen Seiten gibt Leo Moser (selbst
Lehrer!) überhaupt nicht lehrerhaft ein paar Tricks zum Besten, wie
man in der Schule "möglichst wenig tut und möglichst viel
erreicht". Auf teilweise sehr witzige und ironische Weise beschreibt
Moser typische Schulzuge-hörigkeiten, wie z.B. die Lehrer: "Ihr
größtes Problem ist, das Gefühl zu haben, die Zügel
in der Hand zu halten, denn unkontrollierte Anarchie im Klassenraum macht
sie fertig. Notfalls erklären sie lieber die Anarchie zu ihrem Konzept,
als sich ihr Versagen einzugestehen". Was zum Beispiel kann man gegen
Hausaufgaben tun? "Die Schüler haben es (...) schwer, denn sie
werden von neuen Trends und verlockenden Freizeit-Angeboten geradezu erdrückt.
Wenn noch Hausaufgaben dazukommen, werden sie in gesundheitsgefährdender
Weise belastet. Das muß den Lehrern immer wieder klargemacht werden,
wenn sie Hausaufgaben verteilen. (...) Hausaufgaben können nur Ergänzung
des Unterrichts sein. Deshalb sollte man Lehrern, die besonders viel Hausaufgaben
verteilen, die Frage stellen, ob sie das tun müssen, weil ihr Unterricht
nicht die erforderliche Qualität erreicht". Ach ja - und noch
ein Leckerbissen zum Schluß: "Argumente, die Lehrer weich machen:
· Ich fühle mich von Ihnen unterschätzt · Sie wollen
mich fertigmachen · Sie mögen mich einfach nicht".
"Abi für Faule" kann zwar nicht als endgültige Aufklärung
verstanden werden, ist aber doch sinnvoll während der Schulkarriere
einzusetzen, wenn man dabei immer wieder betont, daß man dieses vertrackte
Schulsystem zudem auch noch ändern möchte.
LEO MOSER: Abi für Faule / Das coole Lückenmanagement
für abgedrehte SchülerInnen / Eichborn Verlag 1996 / 12, 80 DM
3. LEHRER - ÄRGER DICH!
Die "Überlebenshilfe für clevere Schüler"
von Dieter Heckenschütz ist inzwischen ein Kult-Buch. Nun erscheint
inzwischen die dritte Auflage des antipädagogischen Schülerratgebers.
"Wanderer, der du hier eintrittst, laß alle Hoffnung fahren!"
stände auf jedem Schultor, wenn die Erwachsenen ehrlich wären,
meint Heckenschütz. Und so sieht er es als seine erste Aufgabe an,
zu beschreiben, "wie das Elend Schule begann". So faßt
der Autor treffend zusammen, daß das Ziel der Schule nicht der selbstständige
Mensch, sondern der für die "Industriegesellschaft zurechtgeschliffene,
zerstörte, unmündige Mensch" war. Heckenschütz kritisiert
die "Auslesefabrik Schule", die sie in all den Jahrhunderten
geblieben sei: "Die Schule will kein Wissen vermitteln, sondern den
Schülern den Weg zu qualifizierten, gutbezahlten Berufen so schwer
wie eben möglich machen". Daher kämen Zwangslerninhalte
wie Staubgefäße des Gänseblümchens oder Nebenflüsse
der Donau - schlicht und einfach um auszusortieren.
"Dagegen hilft nur eine Strategie: Schülerkreativität".
Schülerkreativität möchte, daß alle nur das lernen,
was sie wollen. Überflüssiges Wissen zu vermeiden ist ihr zweites
wichtiges Ziel. Und dafür gibt es ganz verschiedene Ideen und Beispiele,
die die 94 Seiten des Paperbacks aus dem Verlag mit der Fliege preisgeben.
Zum Beispiel die Abwesenheit vom Unterricht oder die gebremste Unterrichtsstunde.
Ebenfalls nutzreich ist Elternkreativität - eine Schwachstelle von
Schülerkreativität, denn wer blöde Eltern hat, kann sie
nicht allzu oft anwenden. Es heißt auch "den Gegner kennen":
sämtliche Lehrertypen werden beschrieben - und wie man sie am besten
lächerlich machen kann (falls nötig).
Absolut interessant ist die Rubrik "Persönlichkeiten", in
der die Schulzeit von Berühmtheiten durchleuchtet wird. Über
einen der wichtigsten Erfinder, Thomas Edison, prophezeiten die Lehrer,
daß er "niemals irgendwo erfolgreich sein würde".
Einstein sagte, die Schule solle nicht mit Zwang arbeiten, weil sie so
die Aufrichtigkeit der Schüler zerstöre und unterwürfige
Menschen erzeuge. Auch Hermann Hesse und Bertolt Brecht waren weder gut
in der Schule noch in späteren Lebensjahren ihr in irgend einer Weise
gesonnen. Brecht schrieb einmal, daß es ihm während seines "neunjährigen
Eingewecktseins" auf der Schule nicht gelang, seine "Lehrer wesentlich
zu fördern". Weitere "Schulversager" waren z.B. Gerhart
Hauptmann, Winston Churchill oder Arthur Schopenhauer.
Das Buch zeigt viele Beispiele, Tricks und Geschichten, wie man als Schüler
die Schule halbwegs unbeschadet überstehen kann. Aber Schülerkreativität
hat hauptsächlich ein Problem: Sie funktioniert fast nur mit Schülersolidarität.
Leider sind die Schüler bis zu dem Zeitpunkt, an dem einigewenige
merken, daß sie sich gegen all die Ungerechtigkeiten vielleicht doch
zur Wehr setzen sollten, großteils schon so durch die Schule verblödet,
daß alle übriggebliebene Kreativität auch nichts mehr hilft.
Wer Jahre lang Konkurrenzdenken gelehrt bekommen hat, wird sich meistens
nicht plötzlich solidarisch verhalten und beispielsweise gemeinsam
mit allen eine Stunde schwänzen oder einen Schrank vor die Klassentür
stellen, damit der Leerer merkt, daß er nicht gerade willkommen ist.
Naja, wir sollten nicht alle Hoffnung aufgeben, aber unser Schulsystem
ist gut durchdacht. Schließlich und endlich gibt Dieter Heckenschütz
außerdem noch bekannt, daß Schülerkreativität nur
eine Notlösung ist: "Wir brauchen eine neue Schule!" Eine
Schule ohne Zwang und Pflichtfächer, weil "was ihren wahren Interessen
entspricht, haben Menschen zu allen Zeiten ohne Zwang gelernt".
DIETER HECKENSCHÜTZ: Lehrer - ärger dich! Überlebenshilfe
für clevere Schüler / 3. Auflage, Eichborn Verlag 1995, DM 14,80
|