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Ausgabe 18

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Nice Week-End
Eine Reise
Von Julia Glasewald
Es scheint sich schon gar nicht mehr recht für die Nachrichten
zu lohnen, über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien zu berichten.
Im ersten Jahr waren Informationen über den Krieg noch aktuell und
gutverkäuflich. Doch je länger die Anfänge des Konflikts
zurückliegen, desto weniger bekommt man als Deutscher davon zu Ohren.
Als ich mit dem Nice-Week-End-Ticket in den Ferien unterwegs war, hatte
ich ein Erlebnis, bei dem ich das erste Mal wirklich mit dem Leid der betroffenen
Menschen konfrontiert wurde. Mit der Situation umgehen, so hatte ich das
Gefühl, konnte ich nicht.
Ich war übermüdet und - nachdem ich ca. sieben mal umgestiegen
bin - echt genervt. Im Raucherabteil mit mir saßen drei grölende
betrunkene Hamburger Seemänner, die meine Laune nicht besonders positiv
beeinflußten. Als ich nach einer kleinen Schlafpause etwas benommen
zu mir kam, saß mir ein junger Mann gegenüber und lächelte
mich an. Wir kamen ins Gespräch. Wohin ich fahre, wohin er fahre,
wie er hieße, wie mein Name sei, wie lange er schon unterwegs sei,
seit wann ich auf den Beinen sei...
Aus einem Small-Talk entwickelte sich bald ein interessantes Gespräch
über sein momentanes Leben als Lehrling und meins als Schülerin.
Er bot mir Cola, ich ihm Zigaretten an. Als ich ihn beiläufig danach
fragte, woher er stamme, weil er mit Akzent sprach, erfuhr ich, daß
er vor 4 Jahren aus Bosnien geflüchtet sei.
Edo war 21 und mit 17 als Letzter seiner Familie aus dem Krisengebiet geflüchtet.
Von dem Zeitpunkt meiner Fragen an, sprudelte es aus ihm wie ein Wasserfall
heraus. Er erzählte mir von seiner "unbeschwerten Kindheit",
wie er Waffen fürs Vaterland tragen mußte, er erzählte
mir von seiner Karriere als Radiomoderator und daß er zeitweise mehr
Geld verdiente als sein Vater. Und wie er fast nach Barcelona gefahren
wäre, zu den Olympischen Spielen, daß seine Pläne dann
aber nicht aufgingen, erzählte er mir auch. Weil - dann kam der Krieg...
Edo erzählte mir viel über sich, ständig im Wechsel von
Gesichtszügen, er lachte und freute sich über Streiche, die er
als kleiner Junge spielte und plötzlich erstarrte sein Lächeln,
und seine Miene wurde todernst und traurig. Er beendete jede seiner Erzählungen
mit "Naja, schade..."
Warum ich mir etwas hilflos in dieser Situation als Zuhörer vorkam,
weiß ich nicht. Auf jeden Fall erinnerte mich Edo zu einem Zeitpunkt
der völligen Unbetroffenheit an den Krieg da unten und - ehrlich gesagt
- konnte ich mir persönlich das erste Mal ein Bild von der Situation
machen und das dann auch an mich heranlassen.
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