KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 18

Editorial
Das Restaurant am Ende des Universums [Fortsetzung von "Per Anhalter durch die Galaxis"]
Verfassungsbeschwerde nicht angenommen
Lernen trotz Schule
Eine Reise
Über Janusz Korczak
Geschlechterdiskussion [über "Mythos Männermacht"]
Lesermeinung
Kinderarbeit
Gefangen Teil 2
Aufgelesen
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
HÖRmal!
Schulpflicht-wozu?
Schulbücher [drei Bücher über Schule]
Der Roboter
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Veranstaltungen
Horoskop
Schulbrief
Zum Schluß

Cover Ausgabe 18
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Aufgelesen: "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels"

Augenblicke, die werden wie die Ewigkeit

"Unfähig zu stabilen Gefühlsbeziehungen" ist sein Stempel. So ist Peter eingeordnet, bewertet worden von Biehl, an dessen Privatschule er sich befindet, und den Leitern der anderen sieben Waisenhäuser und Kinderheime, die er bereits hinter sich hat. August nennen sie "verhaltensgestört". Katarina bekommt heimlich Briefe zugesteckt. Die Zeit kann man festhalten, wird ihr von dem zwei Jahre jüngeren Peter erklärt. Heimlich treffen sie sich, und sie stellt seltsame Fragen: Warum hat die Schule August aufgenommen? Wieso die verschärften Sicherheitsmaßnahmen und die psychologischen Tests - seitdem er da ist? Weshalb haben die Lehrer ihre eigenen Kinder von der Schule genommen?
Es klingelt. Das Schrillen der Schulglocke gehört zu dem Plan, der dahinter steckt. Die Zeit ist nichts Naturwissenschaftliches. Wenn man versucht, sie zu berühren, fängt sie an, sich aufzulösen.

Bewertung ist eines der großen Themen vom "Plan von der Abschaffung des Dunkels". Darum geht es auch in diesem Plan, in dieser weltverbesserischen Vision, die in Biehls geheimen Akten zu finden ist. Hoeg erzählt die Geschichte von dem Kind, das auf dem Spielplatz balanciert und ihm zuruft: "Guck mal." Eine andere Mutter sagt "Wie tüchtig du bist." Peter Hoeg ist kurz davor, ihr den Kopf abzureißen, er steht ernsthaft kurz vor einem Rückfall. Er setzt sich wieder, doch es dauert eine Weile, bis er aufhört zu zittern: "Das Kind hatte um Aufmerksamkeit gebeten. Sie hatte nur gebeten, gesehen zu werden. Doch sie bekam eine Bewertung. 'Wie tüchtig du bist.' Es ist keine böse Absicht, wenn man Leute bewertet. Man tut es nur, weil man selbst so oft getestet worden ist. Schließlich kann man gar nicht mehr anders denken".
Hoeg schreibt: "sie hatte nur gebeten...", obwohl "sie" zuerst "das Kind" ist. Wenn ein Kind nicht gerade "das Kind" ist, ist sie oder er nicht ein Objekt.

Die drei Waisenkinder werden Kameraden im Kampf gegen das eiserne Regime der Schule. Dabei wollen Biehl und seine Helfer doch nur das Beste: Das Dunkel beseitigen, die Menschen gleichmachen. Auch August einem so hohen Druck aussetzen, körperliche Züchtigung inbegriffen, daß das Licht empor kommt. Einheitliche Bewertungsmaßstäbe zur Veredelung der Menschen, die zur Unterdrückung wird. Als Anklage gegen das unmenschliche Schulsystem schreibt Peter Hoeg eine faszinierend spannende Geschichte mit biographischen Zügen. Als er zwanzig Jahre später das erste Mal wieder eine Schule besucht, ist das Zwangsgefühl wieder da, daß man in der Schule hat und daß der Kinderrechtler John Holt schon 1974 kritisiert hat: "die Gewißheit, eine Pflicht zu erfüllen, um des Urteils und des Beifalls anderer willen: die Kinder für die Lehrer; die Lehrer für die Eltern, für die Aufseher, für die Schulleitungen oder für den Staat. Niemand an der Schule ist jemals frei von dem Gefühl, daß er die ganze Zeit beurteilt wird oder bald beurteilt werden könnte".

"Erwachsenwerden heißt zuerst vergessen und dann verleugnen, was wichtig war, als man ein Kind war" schreibt Hoeg. Sein Roman ist thematisch höchstinteressant und stilistisch brilliant. Die literarische Qualität weckt die Faszination Buch. Zusammensetzungen von Wörtern wirken in Peter Hoegs neuestem Roman manchmal wie Wunder. "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels" ist spannend bis zum Schluß - und das, trotzdem zwischenzeitlich Elemente fast in Sachbuchform vorkommen, in denen wir z.B. über zirkuläre und lineare Zeit aufgeklärt werden. Die Zeitphilosophie ist sowieso das zweite große Thema des Romans - nach Schule, Bewertung und Lernen: "Wissen ist etwas, das es von vornherein gibt. Die einzige Leistung, die man erbringen muß, ist, sich zu öffnen" schreibt der Autor.

Wer dieses Meisterwerk an inhaltlicher und literarischer Qualität nicht liest, ist selbst schuld.

Benjamin Kiesewetter


Aufgelesen in Regenbogen Nr. 19 (3/96) "Desert Blues"

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