KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 18

Editorial
Das Restaurant am Ende des Universums [Fortsetzung von "Per Anhalter durch die Galaxis"]
Verfassungsbeschwerde nicht angenommen
Lernen trotz Schule
Eine Reise
Über Janusz Korczak
Geschlechterdiskussion [über "Mythos Männermacht"]
Lesermeinung
Kinderarbeit
Gefangen Teil 2
Aufgelesen
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
HÖRmal!
Schulpflicht-wozu?
Schulbücher [drei Bücher über Schule]
Der Roboter
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Veranstaltungen
Horoskop
Schulbrief
Zum Schluß

Cover Ausgabe 18
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Schulpflicht - wozu?

- Gedanken eines Betroffenen -

Die Schule ist in ihrem jetzigen Zustand ein Gefängnis, in dem den Häftlingen, also den Schülern - neben einigen sinnvollen Fähigkeiten und nützlichem Wissen - vor allem unnützes Fachwissen eingetrichtert werden soll, das die meisten nie wieder in ihrem Leben benötigen werden.
In der Schule soll offenbar nur jede Menge Schrott gelernt werden, um nachher feststellen zu können, ob die Schüler es auch wirklich können. Schlimm ist, daß den Schülern eingeredet wird, daß dieses Wissen tatsächlich notwendig wäre. Schlimm ist auch, daß viele Schüler darauf hereinfallen und es nachher noch selbst glauben. Man könnte die Schüler auch dazu zwingen die Zahl Pi (~3,1416) auf 1000 Stellen nach dem Komma auswendig zu lernen, nur leider würde da zu deutlich werden, daß das Unsinn ist.

Die Schulpflicht abzuschaffen, heißt ja nicht gleich die Schulen abzuschaffen - es heißt vielmehr, nicht mehr vom Staat vorgeschrieben zu bekommen, wann, wo, mit wem, wie und vor allem was man lernen muß. Wer sich z.B. für Chemie interessiert, soll das natürlich auch lernen dürfen. Aber es ist unsinnig, die Schüler, die das nicht interessiert und die es auch nicht lernen wollen, dazu zu zwingen, es doch zu lernen. Bei allem, was man lernt, speichert das Gehirn neben dem Wissen auch die Gefühle, die man beim Lernen hat, ab. Wenn man also zu Chemie gezwungen wird und vor Chemie Angst und auf Lehrer und Schule Wut hat, werden auch diese Informationen im Gehirn
abgespeichert. Wenn man später aus irgendeinem Grund wieder an Chemie denkt, denkt man damit praktisch automatisch auch an die mit Chemie verbundenen schlechten Erfahrungen. Je länger man also ein ungeliebtes Fach ertragen muß, desto größer wird mit der Zeit die Ablehnung gegen dieses Fach.

Auch sonst versucht die Schule jede Menge welt- und lebensfremdes Wissen in die Schüler hineinzupressen. Das gilt auch für sogenannte Kernfächer. Es wurde nachgewiesen, daß man den Stoff, den man in Mathe nach der 7. Klasse lernen muß, im Normalfall nicht braucht. Zweifelsfrei sind Lesen, Schreiben und das Beherrschen der Grundrechenarten sinnvolle und notwendige Kentnisse, aber auch gerade deshalb muß man Kinder nicht dazu zwingen, diese zu lernen, weil sie es nämlich selber lernen wollen und zwar freiwillig und ohne Druck. Lernbiologen haben nachgewiesen, daß alle Menschen ein Lernbedürfnis haben. Bei Kindern ist dieses Bedürfnis noch sehr ausgeprägt. Oft fühlt man sich genervt von kleinen Kindern, die einem "Löcher in den Bauch fragen". Sie wollen z.B. lesen lernen, weil sie ihre Comics selber lesen wollen und nicht immer auf andere angewiesen sein wollen. Sie wollen rechnen lernen, damit sie von Verkäufern bei Preisen nicht beschissen werden. Sie freuen sich noch auf die Schule, weil sie das alles endlich lernen wollen. Doch schon nach kurzer Zeit ist den meisten Schülern klar, was für eine blöde Einrichtung das ist, in der man stillsitzen muß, nur was sagen darf, wenn man auch gefragt wurde und in der man für Fehler, aus denen man ja lernt, bestraft wird. Der Lerndrang der Schüler wird somit unterdrückt und als störend angesehen. Die Interessen der Kinder werden dabei einfach übergangen. So verbindet man mit dem Wort lernen" oft Schule und schlechte Erfahrungen. Junge (und auch ältere) Menschen wollen lernen, aber nicht so - nicht mit den Methoden der Schule, weil diese gehirnfeindlich und weltfremd sind und eigenes Denken und Kreativität geradezu verbieten.

Bei alledem darf aber nicht das erzieherische Ziel, das die Schule hat, vergessen werden. Es reicht also nicht, daß die (meisten) Eltern an ihren" Kindern herumerziehen - nein, auch der Staat mischt sich noch ein: Auch er will Macht ausüben, die Schüler formen, wie Matsch, der erst noch in eine Form muß, um dann schöne Formen und Figuren zu ergeben. Es sollen staatstreue, angepaßte Menschen erzeugt werden, die diesem Staat dienen und ihn dann irgendwann mal übernehmen und weiterführen sollen. Nur zu blöd, daß diese Menschen, Schüler genannt, auch denken können und sich deshalb nicht alles gefallen lassen. Erziehung funktioniert im Prinzip, indem man sich freiwillig einem Zwang unterwirft. Wenn man das macht, geht alles gut und man kriegt kaum Probleme. Weicht man aber von der Zielvorstellung, dem angepaßten Menschen, ab, so kriegt man die Keule des Systems zu spüren: Schulstrafen. Blinder Gehorsam wird von der Schule gefordert, wer sich nicht unterwirft, kann z.B. mit einem Verweis, Bußgeld oder sogar Jugendknast rechnen.
Das Thema Gleichberechtigung ist auch für die Schule sehr wichtig, weil man von gleichberechtigten Partnern viel leichter und eher und mit weniger Hemmungen lernt, als wenn einem das Wissen von einer Autoriät aufgezwungen wird. Schüler werden, wie Kinder in unserer Gesellschaft allgemein, als Objekte betrachtet, als Gegenstände, über die man nach Belieben verfügen kann. Natürlich sind Kinder, wie alle Menschen, in Wirklichkeit Subjekte, die selber denken. Aber dadurch, daß sie behandelt werden, als wären sie Objekte, sinkt das Selbstwertgefühl dieser Menschen, so daß einige dann selber glauben, sie seien nichts wert. Die Schule will den Schülern diese Minderwertigkeit einreden, auch wenn sie offiziell sagt, sie wolle das Gegenteil. Aber Schüler, die selbst glauben, sie könnten nichts verändern, sie seien machtlos, kann man natürlich leichter kontrollieren, beeinflussen und erziehen.
Sie werden "von oben herab" betrachtet. Junge Menschen wollen ernst genommen werden. In der Praxis der Schule werden sie das überhaupt nicht. Oder wenn doch, dann aus der Sicht, daß es die bösen Schüler sind, die die armen Lehrer fertigmachen ("mobbing").
Die Degradierung zu Objekten ist ein Angriff auf die Menschenwürde der Schüler. Die Würde des Menschen, und da sind Schüler nicht ausgenommen, ist bekanntlich unantastbar. Die Würde des Menschen ist ein Grundrecht. Grundrechte hängen nicht von irgendwelchen Fähigkeiten oder sogar vom Alter ab. Aber auch sonst wird auf die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte in der Schule kein besonderen Wert gelegt. Wenn man sich in der Schule als Schüler auf die Menschenrechte und auf das Grundgesetz beruft, wird man höchstens müde belächelt. Das Recht auf Freiheit der Person wird z.B. durch die Anwesenheitspflicht, einem elementaren Bestandteil der Schulpflicht, stark eingeschränkt. Sogar in den Pausen kann man sich nicht ungehindert bewegen, man ist ständiger Beobachtung ausgesetzt. Und soetwas wie Gleichberechtigung gibt es in der Schule überhaupt gar nicht; weder bezüglich des Geschlechts, des Alters, des Wissen, geschweige denn zwischen Lehrern und Schülern. Man kann zwar sagen, was man denkt (massive Schulkritik strengstens verboten), muß dann aber auch mit den Konsequenzen, z.B. mit schlechteren Zensuren, leben. Auch Briefgeheimnis und das Grundrecht auf Eigentum kann man im Prinzip gleich vergessen. Das waren jetzt nur ein paar Beispiele, aber um alle Ungerechtigkeiten dieses Schulsystems zu nennen, reicht der Platz hier einfach nicht aus.
Wären es nicht nur einzelne Schüler und Eltern, die sich gegen Lehrer- und Zensurenwillkür wenden und aktiv Widerstand leisten, dann würde sich schon so manches an unserem Schulsystem geändert haben (müssen). Kleine Gruppen kann man leicht, sozusagen mit links, unterdrücken. Aber je größer der Anteil derer wird, die sich nicht alles gefallen lassen, desto mehr Kraft und Aufwand müßte die Schule allein in Überwachung und mit Schulstrafen verbundenen Papierkram stecken. Ab einem gewissen Maß, das wohl noch nicht erreicht ist, wird das dann auch der strengsten Schulverwaltung zu viel und die dort arbeitenden(?) Beamten(!) werden sich dagegen wehren, ständig auf Beschwerden antworten zu müssen, weil Lehrer und Direktoren mal wieder Schüler wegen nichtigen Anlässen verurteilt haben. Wehrt Euch! Leistet Widerstand!

Die Schule will friedliche, zufriedene und gut gebildete Schüler eines Tages aus der (Strafanstalt) Schule entlassen. Aber genau das kann man mit Leistungs- und Zensurenterror sowie erzieherischer Gewalt und Unterdrückung nicht erreichen. Auch die sooft gelobte Chancengleichheit, die unser Schulsystem angeblich bietet, gibt es nicht. Denn allein in Deutschland werden wöchentlich 30 Mio. DM für Nachhilfeunterricht ausgegeben. Ein anderes Ziel der Schule ist, selbständige Menschen zu erzeugen. Wahrscheinlich wird man deshalb ständig bevormundet. Eigentlich versagt die Schule auf ganzer Linie.
Daß man in der Schule für das Leben und nicht für die Schule oder für die Lehrer lernt, stimmt einfach nicht. In der Schule lernt man nicht, wie man mit Menschen klarkommt, wie man Probleme löst, wie man Streitereien vermeidet, wie man trotz gegensätzlicher Vorstellungen friedlich zusammenlebt. Stattdessen lernt man, wie man gegen andere arbeitet und konkurriert; man erfährt am praktischen Beispiel, wie ein Mensch eine ganze Gruppe von 25 oder 30 Schwächeren unterdrücken kann. Man lernt nicht für sich, sondern für die Zensur, man lernt für ein Stück Papier mit Zahlen drauf, das man Zeugnis nennt. Es sagt im Prinzip fast nichts über einen Menschen aus, aber es ist wichtig, um die Chancen auf einen gutbezahlten Arbeitsplatz zu erhöhen.

Die Befürchtung, daß kaum noch einer zur Schule kommen würde, wenn man die Schulpflicht jetzt abschaffen würde, ist berechtigt; Grund genug für die jetzt Regierenden, sich einmal grundlegende Gedanken über dieses Schulsystem zu machen: Stell dir vor, es ist Schule und keiner geht hin! Es müssen Alternativen zugelassen werden. Aber auch die jetzige Staatsschule wird sich ändern müssen, falls ihr nicht tatsächlich die Schüler ausgehen wollen. Sehen wir die Abschaffung der Schulpflicht also nicht als Gefahr, sondern als Chance für ein besseres, für ein menschenwürdiges Schulsystem!
Ich will eine Schule, in der Schüler das lernen können, was sie interessiert und nicht das, was andere ihnen vorsetzen. Die Schule soll ein Ort sein, der frei von Druck durch Zensurenterror und Lehrerwillkür ist, ein Ort an dem man sich wohlfühlen kann. Dazu gehört vermutlich auch eine radikale Umgestaltung der Räume. Die Schule soll ein Ort sein, an dem Lehrer und Schüler gegenseitig voneinander lernen können und keiner dem anderen etwas vorschreibt, sondern wo jeder das tun kann, was er will, wenn er dabei nicht die Rechte anderer verletzt. Lehrer sind dort einfach gleichberechtigt mit den Schülern. Die Lehrer sind für die Schüler da und nicht umgekehrt! Die Schüler wollen etwas lernen und die Lehrer sollen das dann auch ermöglichen und die Schüler nicht herabwürdigen und ihnen zeigen, wie dumm, faul und blöd sie doch sind. Wenn jemand an einem für ihn nicht interessanten Fach nicht teilnehmen will, dann heißt das nicht, daß dieser Schüler dumm oder faul ist, sondern, daß er andere Interessen hat und denen nachgehen will, sich z.B. mit anderen Themen beschäftigen, vielleicht in die Bibliothek gehen oder im Internet surfen will.

Das Ganze könnte vielleicht so ähnlich funktionieren: Die Schule ist im Großen und Ganzen wie ein ewiger Tag der offenen Tür organisiert. Ständig gibt es Veranstaltungen zu allen möglichen Themen. Aber es gibt natürlich auch ganz normale Kurse, wie die jetzigen Fächer und noch einige weitere, wie z.B. Astronomie, Ökologie oder Philosophie. Am Anfang eines Halbjahres schreibt man sich für eine beliebige Zahl von Fächern ein. Diese sind dann vielleicht für das laufende Halbjahr verbindlich. Man sollte also auch regelmäßig kommen, kann mit Begründung aber fehlen, wenn man alles nacharbeitet, damit man andere in dem Kurs nicht später ständig stört, weil man nichts kapiert hat und andauernd nachfragen muß. Auch im Unterricht wird man nicht zur Mitarbeit gezwungen, man kann sich jederzeit anderweitig beschäftigen, was ja kein Problem ist, solange man andere nicht stört. Aber wenn der Untericht interessant ist, arbeiten sowieso alle mit. Ob und in welchen Fächern ein Schüler bewertet wird, entscheidet er selber.
Die Lehrer müssen keinesfalls immer Lehrer im herkömmlichen Sinne, also Erwachsene mit einer speziellen Ausbildung, sein. Es können z.B. auch Schüler sein, die freiwillig Vorträge und Material anbieten. Außerdem lernen Schüler auch gegenseitig von einander. Abgucken und -schreiben ist also ausdrücklich erlaubt.
Es gibt aber auch fachliche Bedingungen. Wenn man z.B. Physik als Fach belegen will, kann man das nur, wenn man einen gewissen Stand an Mathe hat, um bei entsprechenden Themen dann auch mitmachen zu können. Allerdings muß dieses Wissen nicht unbedingt in der Schule gelernt worden sein. Ob man es in der Schule oder zu Hause, ganz alleine, mit Freunden, Eltern oder Lehrern gelernt hat, ist dann nicht wichtig. Man muß nur nachweisen können, daß man es gelernt hat.
Es wäre auch denkbar, daß die Fächer in mehrere einzelne Kurse aufgespaltet werden, z.B. in Geschichte: Altes Ägypten, Nationalsozialismus u.ä.
Außerdem muß es möglich sein, Fächer mal ein halbes oder ganzes Jahr auszusetzen und danach da weiterzumachen, wo man aufgehört hatte, man muß auch einzelne Fächer freiwillig wiederholen können, wenn man das alles nicht so gut kapiert hatte und man muß ein Fach natürlich auch einfach aufgeben/abbrechen können, sich also nicht wieder dafür einschreiben. Die einzelnen Kurse sollen also nicht direkt altersgebunden sein. So können auch jüngere von älteren Schülern lernen (und andersherum).
Alles in Allem kann die gesamte Schulzeit dadurch sehr unterschiedlich lang werden. Man kann z.B. in sieben Jahren Schulzeit vielleicht mehr (für einen persönlich Sinnvolles) lernen, als heute in dreizehn Jahren. Man kann die Schulzeit wesentlich verkürzen, wenn man uninteressante Themen, die je nach Person unterschiedlich sind, ganz einfach wegläßt.
Wenn das Kind es selber will, soll es auch die Möglichkeit haben, z.B. schon mit fünf Jahren in die Schule zu kommen. Die Schule soll als Bildungseinrichtung vor allem den jungen Menschen helfen, Wissen zu erlangen, sie soll aber auch für Erwachsene, die ihr Wissen auffrischen wollen, offenstehen.

Es muß ganz einfach die Möglichkeit geben, daß es solche Schulen geben kann, z.Z. ist das wegen der Schulpflicht in Deutschland nicht möglich. Für die Schüler, die unsere jetzige Schule so schön finden, kann man ja auch noch einige Exemplare, dieser in Zukunft ohnehin von Aussterben bedrohten Art, erhalten.

Martin Wilke


K.R.Ä.T.Z.Ä.-Schulplakat "Was wir an der Schule falsch finden"

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