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Ausgabe 18

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DER ROBOTER
Müde und durstig gehe ich meinen täglichen Weg nach Hause.
Ich bin eine Maschine. Mein Herz ist eine Schraube, mein Mund ein Sprechmechanismus.
Ich antworte monoton auf alle Fragen, die man mir stellt. Meine Träume
habe ich fast vergessen. Nur dunkel erinnere ich mich an Freiheit und Hoffnung.
Doch ich kann diese Begriffe nicht mit meinem Leben vereinbaren. Der Chef
mag es nicht, wenn ich nachdenke. Manchmal bin ich dabei auf dumme Gedanken
gekommen. Einmal wollte ich mehr Lohn, ein anderes Mal wollte ich tatsächlich
verhindern, daß der Giftmüll meiner Fabrik in die Spree fließt.
Dumm, nicht? Ich habe mir damals gar nicht überlegt, daß die
Abwässer ja nirgendwo anders hinfließen können. Gott sei
Dank habe ich so einen netten Chef, der mir dies erklärt. Damit ich
nicht nochmal auf so blöde Gedanken komme, denke ich erst gar nicht.
Das ist für alle Beteiligten besser so. Ich war zehn Jahre lang in
der Schule. Das war die Hölle: Sechs Stunden am Tag mußte ich
in einem muffigen Klassenzimmer sitzen und mir Sachen anhören, die
mich einen Scheißdreck interessierten. Aber was beschwere ich mich?!
Woanders wären die Kinder froh, wenn sie in die Schule gehen könnten,
nicht wahr? Das ist doch so. Ich merke schon, ich habe schon wieder nachgedacht.
Meine Schraube tickert aufgeregt. Häufig kommen viele Neuigkeiten
auf einmal und ich kann sie nicht so schnell verarbeiten. Weil ich nämlich
dumm bin, hat mir mein Chef erklärt. Der ist ein kluger Mensch, er
weiß sehr viel und erklärt es mir. In meiner Fabrik wird Waschmittel
hergestellt. Früher habe ich den Geruch noch wahrgenommen. Jetzt riecht
meine Nase nichts mehr. Sie ist ein unnützes Objekt in meinem Gesicht.
Ich bin nämlich eine Maschine. Mein Kopf ist ein Computer, IBM-Software
vom Feinsten. Mein Herz ist eine Schraube. Man hat die Schraube nur hineingetan,
weil sich bei mir ein Loch anstelle des Herzens befand. Mein Sprechmechanismus
gefällt mir. Die Leute reagieren auf die Worte, die er sagt. Sie schütteln
den Kopf oder tätscheln meine Hand. Ich mag diese Leute, glaub ich.
Ich hatte auch einmal eine Frau. Ich kann mich aber nicht mehr an sie erinnern.
Sie ging weg von mir, als ich sie heiraten wollte. Sie war sehr schäbig,
hat mir mein Chef erkärt. Er meint, er hätte sowas auch zu Hause
sitzen. Ich glaube, er mag keine Frauen. Meine Mutter mag ich, glaube ich.
Sie gehört zu meinem Alltag. Heute kocht sie Rouladen. Sie sagt, die
schmecken gut. Ich merke schon längst nichts mehr. Wenn ich einen
Wunsch frei hätte, würde ich gerne schmecken können. Mutter
meint, jeder kann schmecken und ich soll mir nichts einbilden. Ich weiß
überhaupt nicht, wie das geht. Einbilden...
Sue Hermenau
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