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Ausgabe 22

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Zum Deckblatt:
Die Titelseite dieser Ausgabe zeigt eine Eintragung ins Mitteilungsheft,
diktiert von der Klassenlehrerin der Klasse 7 in einem Gymnasium* . Sie
möchte ein Redeverbot in jeder anderen Sprache als Deutsch erreichen.
Schüler, die türkisch, kroatisch, arabisch oder andere Herkunftssprachen
im Unterricht oder während der Pausen sprechen, sollen bestraft werden.
Hintergrund der Maßnahme: Mehr als zwei Drittel der Klasse sind Ausländer.
Zu Hause und untereinander wird in den seltensten Fällen Deutsch gesprochen.
Das hat natürlich zur Folge, daß die Schüler miserables
Deutsch sprechen und der Unterricht kaum durchzuführen ist.
Regeln sind nichts grundsätzlich Falsches, manche sind zum Zusammenleben
notwendig. Aber Regeln sind dann undemokratisch, wenn sie von oben aufgezwungen
werden. Die Lehrerin war nach einem Gespräch mit der Schülervertretung
bereit, dies "vorläufig" einzusehen. Die Klasse tagte und es kam heraus,
daß die Unterhaltungen in nicht allen Schülern bekannten Sprachen
für viele Schüler wirklich ein Problem darstellte: In Gruppenarbeit
war es wohl oft so, daß sich die meisten dann auf türkisch oder
anderen nichtdeutschen Sprachen unterhielten und die deutschen Schüler
nichts mehr verstehen konnten. Ein Großteil auch der ausländischen
Schüler war bereit, eine Regel einzuführen, während des
Unterrichts die Unterichtssprache zu sprechen. Das Problem aber wurde nur
dadurch "gelöst", daß ca. die Hälfte der Klasse das Probehalbjahr
nicht bestand.
Für mich ist dieser Fall ein Beweis dafür, daß die
wirklichen Probleme der Schule innerhalb des Systems nicht mehr zu lösen
sind. Die Problematik des oben beschriebenen Falles geht viel weiter, als
daß man sie mit einem Sprechverbot lösen könnte. Wieso
hält man an stumpfsinnigen Strukturen (wie zum Beispiel Klasseneinteilungen)
fest, wenn sie offensichtlich Lernen verhindern: Diejenigen, die Deutsch
können, kommen nicht voran und die anderen hinken immer hinterher.
Sie wissen laut Aussage der Lehrerin nicht einmal die Grundlagen, die in
der zweiten Klasse gebraucht werden.
Die Probleme, die die Schule hat, sind weder mit Strafmaßnahmen
noch mit Finanzspritzen zu lösen. Es zeigt sich in der Praxis immer
wieder, daß das System unserer Schule grundsätzlich falsch gedacht
ist.
Benjamin Kiesewetter
* In Berlin beginnen Haupt-, Real- und Gesamtschule
sowie Gymnasium erst mit der 7. Klasse. Das erste Halbjahr auf dem Gymnasium
wird Probehalbjahr genannt. Wird das Probehalbjahr nicht bestanden, kommt
man auf die Realschule.
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