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Ausgabe 22

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Menschen- und Bürgerrechte für Kinder
Buchrezension "Kinderbürger - Über die politische
Beteiligung von Kindern"
Frercks Hartwig-Hellstern beschreibt in seinem knapp 150 Seiten umfassenden
Buch die kinderrechtlichen Positionen, die Möglichkeiten der Mitbestimmung
von Kindern zur Zeit und den Wandel der Kindheit in unserem Industriezeitalter.
Dabei ist im 1. Teil ("Kindheit in der Industriegesellschaft") seine
zentrale These, daß die Veränderungen im Bereich der Kindheit,
insbesondere im Zusammenhang mit Medien, nicht rein negativ zu sehen sind,
wie Postman ("Das Verschwinden der Kindheit") u.a. es wehmütig beklagen.
So hätten diese Veränderungen auch dazu geführt, daß
altersorientierte Hierarchien immer unglaubwürdiger würden, da
viele Kinder in Sachen Technik den Eltern schon vieles voraushaben. Heute
sei es nicht mehr so uneingeschränkt möglich, jungen Menschen
Informationen vorzuenthalten – und dies sei nicht zuletzt auch ein Verdienst
des Fernsehens. Hartwig-Hellstern:
"Der Wandel in den Erziehungseinstellungen und das ‘Selbsterleben’
der Kinder als kleine Erwachsene mit Kompetenzvorsprüngen gegenüber
den Erwachsenen (Kreativität, Phantasie, sozial verträgliche
Konfliktlösungsstrategien, relative Unabhängigkeit von materialistischen
Überlegungen) und schwindende Kompetenzvorsprünge der Erwachsenen
in traditionellen Erwachsenenressorts (Medien, neue Technologien, Erkennen
von globalen Zusammenhängen) scheinen einen Rückfall in den pädagogischen
Totalitarismus unmöglich zu machen." (S. 143f.)
Generell vertritt Hartwig-Hellstern die Gleichberechtigungsforderung
der Antipädagogik, nach der Kinderschutz nicht bedeuten darf, Kinderrechte
einzuschränken, sondern ihnen ihre Rechte endlich zuzugestehen:
"Es ist nicht nachvollziehbar, warum es im Zusammenhang mit dem Kinderschutz
eine Einschränkung der Rechte von Kindern geben soll." (S. 65) "(Es)
bedarf (...) keiner spezifischen Kinderrechte, sondern der Gültigkeit
der Grund- und Menschenrechte für alle Generationen." (S. 66)
"Kinder kommen in erster Linie als das vor, was sie werden sollen,
nicht aber als das, was sie sind", so Hartwig-Hellstern. Deshalb ist ein
Umdenken in allen Bereichen, wo es um Kinder geht, notwendig. Die Schule
spielt natürlich eine entscheidende Rolle:
"Der Absolutheitsanspruch der institutionalisierten Erziehung in der
staatlich kontrollierten Schule weist Parallelen zur Stellung der Kirche
im Mittelalter auf." (S. 55) "In einer demokratischen Gesellschaft muß
Bildung mit Selbst- und Mitbestimmung verbunden werden." (S. 59) "Die radikale
Schulkritik kritisiert in der Konsequenz die Demokratiefeindlichkeit der
Schulpflicht und plädiert stattdessen für ein ‘Recht auf Bildung’.
Die staatliche Kontrolle beschränkt sich in der Folge auf die Gewährleistung
dieses Rechts." (S. 60f.)
Im zweiten Teil des Buches geht Hartwig-Hellstern auf die Möglichkeiten
der Partizipation von Kindern und Jugendlichen ein ("Die Institutionalisierung
von Lobbyisten..." und "Politik mit und von Kindern"). Dabei gibt er einen
guten Überblick über all die bestehenden Institutionen (von Kinderanwälten
über Kindergipfel zu Kinderparlamenten) und stellt sie auf den Prüfstand.
Zum Ende wird die Forderung eines Wahlrechts ohne Altersgrenze erhoben.
Das Buch hat auch einige Schönheitsfehler, die man eigentlich
zur zweiten Auflage hätte verbessern können. Damit meine ich
weniger, daß die Fußnoten mit Nr. 36 beginnen, sondern eher
Zitate von Hubertus v. Schoenebeck und in Folge dessen Behauptungen der
Art, daß Wahrheit eine rein subjektive Kategorie sei. Nach der Aufklärung
über die Gewaltideologie Schoenebecks durch Ekkehard v. Braunmühls
neues Buch (übrigens im selben Verlag erschienen) sollte man solche
Stellen im Buch überarbeiten.
Insgesamt ist "Kinderbürger" aber ein sehr empfehlenswertes Buch.
Es ist schön kurz und schafft gerade für neu am Thema Interessierte
einen guten Überblick über Forderungen und Themen der Kinderrechtler
und Kinderpolitiker.
Benjamin Kiesewetter
Frercks Hartwig-Hellstern:
"Kinderbürger – Über die politische Beteiligung von Kindern",
Kid-Verlag Bonn,
Erscheinungsjahr nicht angegeben – aber relativ neu, 2. Auflage 1997,
DM 16.-, im Buchhandel erhältlich oder direkt beim Kid-Verlag,
Samansstr. 4, 53227 Bonn.
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