KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 22

Editorial
Fünf Jahre K.R.Ä.T.Z.Ä. und kein Ende?
Im Internet gut gefunden: KidWeb
Hilfe! Spendet!
Kampagne gegen Schulpflicht, Zwangsdienste und Erziehung
Antipädagogischer Rundbrief
Kinderarbeit verboten!?
Neue Leute gesucht
Kinderwahlrecht: neuer Anlauf
Pressemitteilung zu Wahlrecht
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Aktionen
Umfrage zum Thema Schule
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
Zum Deckblatt
Rezension: Kinderbürger
Nicotapias 3. Kolumne
Der Bildungsgutschein
"Ihr habt dieses Land nur von uns geborgt"
Informationen für Minderjährige

Cover Ausgabe 22
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Kinderarbeit verboten!?

Seit 1½  Jahren können Kinder auf dem Abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle 37 Geld verdienen – einmal pro Woche besteht die Möglichkeit, im Kiez Zeitungen auszutragen. Das dauert ungefähr drei Stunden und bringt 30,-  DM, manchmal auch mehr.

Die Vorgeschichte: Bei unserer Betreuungsarbeit auf dem Bauspielplatz haben wir festgestellt, daß die Kinder, die uns besuchen (sie sind ca. 6 bis 16 Jahre alt), Geldbedarf haben und daß sie auch – unabhängig von ihrem Alter – dafür arbeiten würden, die meisten am liebsten regelmäßig und mit Spaß.
Unsere Beobachtungen deckten sich mit den Ergebnissen von repräsentativen Studien zum Thema Kinderarbeit in Deutschland, die kurz gefaßt besagen: Obwohl in den meisten Fällen illegal, haben 80% aller befragten SchülerInnen bereits vor dem Schulabschluß erwerbsgearbeitet, 34% sogar schon vor dem 11. Lebensjahr. Die allermeisten dieser Kinder arbeiten freiwillig, um ihr Taschengeld aufzubessern und unabhängiger von ihren Eltern zu sein, weil es Spaß macht, weil man dazulernen kann, beteiligt ist an gesellschaftlichen Prozessen und Anerkennung bekommt. Allerdings lautet die offizielle Schlußfolgerung daraus entgegen dem offensichtlichen Bedürfnis der Kinder: Kontrollen verstärken, um das Kinderarbeitsverbot durchzusetzen.
Wir haben die Bedürfnisse der Bauspielplatz-Kinder nach Geldverdienen, nach Erwerbsarbeit, ernst genommen und über entsprechende Möglichkeiten nachgedacht. Wir ignorieren nicht die Gefahren, die auftreten können, wenn Kinder arbeiten: Ausbeutung, Abhängigkeit, Mißbrauch, körperliche und seelische Schäden. Vermutlich vor allem deshalb  verbietet auch das Jugendarbeitsschutzgesetz fast ohne Ausnahme die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren. Sein Anliegen ist der Schutz von Kindern, aber erreicht werden soll der durch Verbote und Einschränkungen.
Wir halten es aber für möglich, Bedingungen für Erwerbsarbeit unabhängig von einer Altersgrenze zu schaffen, unter denen diese Gefahren vermeidbar  oder zumindest minimierbar sind und die positiven Aspekte zum Tragen kommen können. Grundsätzlich sollte unserer Meinung nach Schutz nicht durch Verbote, sondern durch Stärkung und Schutz der Rechte und durch zusätzliche Unterstützung der Schwächeren erfolgen.
Als ersten Schritt in Sachen "Kinderarbeit" haben wir deshalb das sogenannte betreute Erwerbsarbeiten erfunden: Wir unterstützen die Kinder bei der Suche nach Erwerbsarbeit, informieren sie über die Zusammenhänge und achten auf die Vermeidung von Gefahren. Unsere erste Aktion bestand darin, mit einem Zeitungsverlag einen Verteilervertrag abzuschließen, um den Kindern, siehe oben, Geldverdienen durch Zeitungaustragen zu ermöglichen. Das fand von Anfang an großen Zuspruch, die Kinder reißen sich (meistens) drum, es gibt zuweilen lange Wartelisten, und es gab nur ganz selten Reklamationen mit Geldabzug durch den Verlag.
Leider stehen wir aber mit unserer Meinung zur Zeit ziemlich allein auf  der weiten Flur der Erwachsenen. Da die meisten Leute "Kinderarbeit" nur aus der Sensationspresse kennen und als erstes Sklaverei und Prostitution damit in Verbindung bringen, ist das auch kein Wunder, und Folgendes mußte zwangsläufig irgendwann passieren:
Am 17. Dezember 1997 (Tatzeit: 13.30 Uhr, Tatort: Kollwitzstraße) waren wie jeden Mittwoch Kinder mit dem Zeitungswagen unterwegs, diesmal zwei Knaben im Alter von 9 und 10 Jahren. Sie fielen einer vorbeifahrenden Polizeistreife auf, die die Jungen nach Alter und "Arbeitgeber" befragte und sie zunächst ziehen ließ. Die Polizisten informierten aber sofort den Verlag, und wir bekamen den aufgeregten Anruf einer Mitarbeiterin: "Aber Sie sind doch ein soziales Projekt und wollen Kindern helfen! Wieso schicken Sie sie dann arbeiten?" Auf meine Antwort, daß wir den Kindern ja gerade deshalb die Arbeit beschaffen, verband sie mich vorsichtshalber mit ihrem Chef. Und dieses Gespräch war  dann sehr interessant: Schon wenige unserer Argumente, die ihm bis dahin mit Sicherheit unbekannt waren, konnten ihn überzeugen, daß "Kinderarbeit" nicht nur schlecht ist. Er zeigte Verständnis für unser Erwerbsarbeitsprojekt, aber er bestand auf Gesetz und Vertrag. Und zumindest mit letzterem hatte er natürlich recht, ich hatte schließlich mit dem Vertrag auch das Arbeitsverbot unter 14 unterschrieben. Ich mußte also geloben, daß ab jetzt  immer ein/e 14-jährige/r die Zeitungen (((mit))) austrägt. Kaum war unser Gespräch zu Ende, fuhr das Polizeiauto vor und lieferte die Jungen samt Zeitungswagen bei uns ab. Die Polizisten hatten sich das ungesetzliche Treiben eine Weile mit angesehen und die beiden dann kurzerhand eingesackt. Ich mußte meine Personalien angeben und wurde auf meine Ordnungswidrigkeit aufmerksam gemacht: "Kinderarbeit ist verboten! In Oslo fand mit deutscher Beteiligung gerade wieder eine Konferenz zur weltweiten Ächtung von Kinderarbeit statt!" Das war uns bekannt, aber auch, daß dort etliche verantwortungsvolle Menschen, die die Stimmen der arbeitenden Kinder selbst ernst nehmen, statt der Abschaffung jeglicher Kinderarbeit die Abschaffung der ausbeuterischen und gefährlichen Formen der Kinderarbeit forderten.
Interessanterweise folgten auch die Polizisten nach kurzer Diskussion unseren Argumenten. "Ich verstehe Sie, für die Kinder ist das toll, was Sie machen, und vielleicht klauen sie ja dann auch etwas weniger. Aber leider: das Gesetz. Ich muß gegen Sie ein Ordnungsstrafverfahren einleiten. Auch wenn ich Ihre Position nachvollziehen kann, da gibt es keinen Ermessensspielraum", was zu stimmen scheint; jedenfalls erhielt ich vier Wochen später ein entsprechendes Schreiben. Der Ausgang der Sache ist noch offen...
Wie auch immer: Wir werden jedenfalls weiterhin nach praktikablen Formen der betreuten Erwerbsarbeit suchen. Im Moment denken wir gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen über Unternehmensgründungen im Rahmen unserer Einrichtung nach.

Meta Sell

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