KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 22

Editorial
Fünf Jahre K.R.Ä.T.Z.Ä. und kein Ende?
Im Internet gut gefunden: KidWeb
Hilfe! Spendet!
Kampagne gegen Schulpflicht, Zwangsdienste und Erziehung
Antipädagogischer Rundbrief
Kinderarbeit verboten!?
Neue Leute gesucht
Kinderwahlrecht: neuer Anlauf
Pressemitteilung zu Wahlrecht
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Aktionen
Umfrage zum Thema Schule
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
Zum Deckblatt
Rezension: Kinderbürger
Nicotapias 3. Kolumne
Der Bildungsgutschein
"Ihr habt dieses Land nur von uns geborgt"
Informationen für Minderjährige

Cover Ausgabe 22
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Der Bildungsgutschein

Das Schulwesen ist eine teure Angelegenheit. Das derzeitige Verfahren besteht darin, daß die Schulen Geld von der staatlichen Verwaltung zugeteilt bekommen. Dadurch ist der Unterricht in den meisten Schulen für die Schüler kostenlos.
Denkbar wäre allerdings auch, daß das Geld zum Besuch von Bildungsveranstaltungen den Schülern, den "Nachfragern" von Bildung, zur Verfügung gestellt wird. Diese könnten dann dieses Geld benutzen, um sich genau die Bildungseinrichtungen auszusuchen, in denen für sie interessante Sachen in geeigneter Form angeboten werden.
Damit kein Chaos ausbricht, würden die entsprechenden Geldbeträge nicht als Geld ausgezahlt werden, sondern als Gutscheine. Diese völlig andere Art der Finanzierung des Bildungswesens muß natürlich mit bestimmten Regeln versehen werden. Darüber wurde bereits viel nachgedacht. Die Idee des Bildungsgutscheins ist einerseits nicht neu und andererseits noch nicht endgültig ausgearbeitet. Mit ihr sind viele Hoffnungen und Ängste verbunden.
Hoffnung heißt ja immer, daß sich kritikwürdige Verhältnisse ändern könnten. So zielt die Bildungsgutscheinidee nicht einfach auf eine Umstellung der Finanzierungsverfahrens, sondern vielmehr auf das Ende eines staatlichen Schulmonopols, das sich nach und nach entwickelt hat und das schon seit langem von vielen Seiten als unflexibel und zu teuer charakterisiert wird. Immer öfter tauchen Begriffe auf wie "Disfunktionalität des bestehenden Bildungswesens" oder "Die deutsche Bildungskatastrophe". Schon Anfang der 70er Jahre kritisierte Ivan Illich – Autor des Buches "Die Entschulung der Gesellschaft" – die ständig wachsende Größe von Schulen. Der kritische Punkt, an dem die Schule von einer lebensfördernden und nützlichen zu einer lebenshemmenden und schädlichen Einrichtung geworden sei, sei überschritten worden. Das Schulwesen insgesamt sei überdimensioniert und dadurch immer unüberschaubarer und unplanbarer geworden. Auch heute äußern Bildungsforscher, "daß der nach Alter, Geschlecht, Interesse und Fähigkeit des einzelnen immer differenziertere Bildungsbedarf durch immer differenziertere und gezieltere Lernangebote beantwortet werden muß". Immer mehr sind als sogennante Schlüsselqualifikationen Kreativität, Kooperationsbereitschaft, Fähigkeit zu exakter Wahrnehmung und Konzentration gefragt. Ein zentralistisch gesteuertes System mit einem staatlichen Bildungsmonopol mit eingeschränkten Wahlmöglichkeiten ist immer weniger in der Lage, all dem zu entsprechen. Gleichzeitig werden kleinere Schulen, die nicht vom Staat betrieben werden und sich um Alternativen bemühen, finanziell benachteiligt.
Der ursprüngliche Anspruch, allen Menschen kostenlos angemessene Bildung zur Verfügung zu stellen, wird immer weniger erreicht, wie z.B. die Tatsache beweist, daß Firmen ihren Auszubildenden und sonstigen Mitarbeitern sogar Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen bezahlen. Ganz zu schweigen von den Unsummen, die für Nachhilfeunterricht privat ausgegeben werden (gegenwärtig in Deutschland etwa 30 000 000 DM pro Woche).
Der Anspruch einer humanistischen Gesellschaft, allen Menschen angemessene Bildungsmöglichkeiten zu sichern, kann – zumindest nach Meinung der Bildungsgutschein-Verfechter – vom Staat aufrecht erhalten und durchgesetzt werden, wenn er sich darauf beschränkt, dafür zu sorgen, daß die Verfassung und die Gesetze (Menschenrechte, Recht auf Bildung,...) eingehalten werden. Hingegen steht die staatliche Aufsicht über Lerninhalte und -methoden nicht zuletzt im Widerspruch zum Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Die zwei Grundtypen von Bildungsgutscheinen

Es gibt zahlreiche Gutscheinmodelle, die sich zwei Typen zuordnen lassen. Auch diesen gemeinsam ist das Grundprinzip, daß jedes schulpflichtige Kind einen Gutschein erhält, der von ihm bzw. seinen Eltern bei der Schule der Wahl eingereicht wird. Die Schule kann diesen Schein dann bei einer Behörde gegen Geld einlösen. Der Wert des Gutscheins entspricht in etwa dem Betrag, der von der Gesellschaft im staatlichen Bildungswesen je Kind aufgewendet wird.
Der erste Grundtyp von Bildungsgutscheinen setzt stark auf das Marktprinzip im Bildungswesen. Die Idee (vor allem von Milton Friedman) geht davon aus, daß Nachfrage und Angebot das System steuern werden. Der Staat wird weitgehend ferngehalten. Sein uneffektiver Verwaltungsapparat, der Steuern bei denen eintreibt, an die er sie wieder ausgibt, wird weitgehend überflüssig gemacht. Der Regulationsbedarf reduziert sich gewaltig. Lediglich bestimmte Mindeststandards müssen von den Schulen eingehalten werden (z.B. garantiertes Fächerangebot). Für den Nachweis darüber erhalten sie eine zum Einlösen der Gutscheine nötige Lizenz. Alle Schulpflichtigen erhalten unabhängig von Einkommen und Vermögen gleiche Bildungsgutscheine, sodaß für jeden ein garantiertes Minimum an Bildung gesichert ist. Schulen, die von den Konsumenten nicht nachgefragt werden, gehen ein. Die Hoffnung dabei ist, daß die Schulen sehr auf die Qualität ihres Angebots achten müssen. – Allerdings können die Schulen Schüler auswählen und gewinnorientiert wirtschaften. Nur staatliche Schulen müssen eine sogenannte Schutzplatzgarantie gewähren. In diesem Modell, das sich am Leistungs- und Profitgedanken orientiert, werden sozialstaatliche Prinzipien außer acht gelassen. So sind die Gutscheine auch privat ergänzungsfähig, d.h. wohlhabende Eltern können zuzahlen.
Ganz anders ist das Modell der Jencks-Commission aufgebaut, das 1970 von einer amerikanischen Forschergruppe vorgelegt wurde und zum anderen Grundtyp gehört. Es berücksichtigt die Interessen von benachteiligten und unterprivilegierten Nachfragern. So sind die in diesem Modell vorgeschlagenen geregelten Gutscheine je nach Einkommen ergänzungsfähig. Ziel dieses Typs von Gutscheinmodellen ist es vor allem, die Kontrolle durch den Staat abzubauen und die Selbstverwaltung der Schulen zu stärken. Deshalb gehört zum Konzept auch eine "Bildungsgutscheinagentur" (Educational Voucher Agency), die sich aus Vertretern der staatlichen und nichtstaatlichen Schulen zusammensetzt und die Gutscheine und Zusatzgutscheine ausgibt. Bestandteil des Modells sind staatliche Beratungs- und Informationspflicht und öffentliche Rechnungslegung der Schulen. Gegen Elitebildung und Diskriminierung bestimmter Einkommens- oder Bevölkerungsgruppen will man bei Übernachfrage Verlosungen von einem Teil der Plätze durchführen. Auch für Schulneugründungen, für ländliche Gebiete und für Transportkosten ist an entsprechende Ausgleichs- bzw. Sonderzuwendungen gedacht.
Hier ist nicht der Platz auf die zahlreichen Details mehrerer anderer Gutscheinmodelle einzugehen. So ist teilweise ausführlich ausgearbeitet worden, wie die Ergänzungsleistungen gerecht berechnet werden können oder wie die Übergabe der Gelder/Gutscheine praktisch funktionieren kann, z.B. auch durch Steuererlaß.
Im wesentlichen geht es bei allen darum, mit Hilfe des Gutscheins einen geregelten Markt entstehen zu lassen, auf dem Schulen um Schüler "werben" und Schüler wählen. Um den negativen Folgen freien Wettbewerbs zu begegnen, muß sichergestellt sein, daß jede Familie gleiche Wettbewerbschancen hat - also z.B. private Zuzahlungen nicht erlaubt sind. Auch über Bedenken zu Aufnahmeregelungen, Bildungsqualität, elterliche Interessenvertretung und Lehrerqualifikation wurde schon viel geschrieben. Die Vertreter des Gutscheingedankens haben Antworten, die plausibel sind, wenngleich eine endgültige Beurteilung aller Aspekte abschließend nicht möglich ist. Insbesondere steht in allen Diskussionen das Problem der Chancengleichheit im Mittelpunkt. Festgehalten werden muß, daß weder im jetzigen Bildungssystem Chancengleichheit oder soziale Gleichheit gewährleistet sind, noch daß zu erwarten ist, daß z.B. herkunftsbezogene Ungleichheit allein durch weitere Verbesserungen im herkömmlichen Bildungssystem ausgeglichen werden kann. Zu diesem Ergebnis kam auch eine ausführliche Studie in 13 Industriestaaten.
Praktische Erfahrungen mit dem Gutschein wurden erst wenig gemacht. In den USA gab es einen größeren Versuch unter sehr schlechten Bedingungen, so daß eine vernünftige Beurteilung der Gutscheinidee nicht möglich war.
Beim Besuch von K.R.Ä.T.Z.Ä. in der Wiener Schülerschule (s. Regenbogen 20) wurde uns vom Gutschein-Experten Peter Moser vorgehalten, daß unterm Strich von der Einführung des Gutscheins mehr Nach- als Vorteile zu erwarten sein. Wir stellten fest, daß sich diese Überlegungen auf die jetzigen Verhältnisse mit Schulpflicht.
Geht man von einer Umwandlung der Schulpflicht in ein garantiertes Bildungsrecht aus – die Forderung von K.R.Ä.T.Z.Ä. – ergeben sich hinsichtlich des Gutscheins neue Fragen. Auch für ein gesamteuropäisches Bildungswesen, in dem Schulen verschiedener Länder besucht werden können, ist die Finanzierung über Gutscheine eine interessante Perspektive.

Mike Weimann


Lit.: Mathias Maurer, Der Bildungsgutschein - Finanzierungsverfahren für ein freies Bildungswesen, Stuttgart 1994, 104 Seiten

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