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Ausgabe 22
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Der Bildungsgutschein
Das Schulwesen ist eine teure Angelegenheit. Das derzeitige Verfahren
besteht darin, daß die Schulen Geld von der staatlichen Verwaltung
zugeteilt bekommen. Dadurch ist der Unterricht in den meisten Schulen für
die Schüler kostenlos.
Denkbar wäre allerdings auch, daß das Geld zum Besuch von
Bildungsveranstaltungen den Schülern, den "Nachfragern" von Bildung,
zur Verfügung gestellt wird. Diese könnten dann dieses Geld benutzen,
um sich genau die Bildungseinrichtungen auszusuchen, in denen für
sie interessante Sachen in geeigneter Form angeboten werden.
Damit kein Chaos ausbricht, würden die entsprechenden Geldbeträge
nicht als Geld ausgezahlt werden, sondern als Gutscheine. Diese völlig
andere Art der Finanzierung des Bildungswesens muß natürlich
mit bestimmten Regeln versehen werden. Darüber wurde bereits viel
nachgedacht. Die Idee des Bildungsgutscheins ist einerseits nicht neu und
andererseits noch nicht endgültig ausgearbeitet. Mit ihr sind viele
Hoffnungen und Ängste verbunden.
Hoffnung heißt ja immer, daß sich kritikwürdige Verhältnisse
ändern könnten. So zielt die Bildungsgutscheinidee nicht einfach
auf eine Umstellung der Finanzierungsverfahrens, sondern vielmehr auf das
Ende eines staatlichen Schulmonopols, das sich nach und nach entwickelt
hat und das schon seit langem von vielen Seiten als unflexibel und zu teuer
charakterisiert wird. Immer öfter tauchen Begriffe auf wie "Disfunktionalität
des bestehenden Bildungswesens" oder "Die deutsche Bildungskatastrophe".
Schon Anfang der 70er Jahre kritisierte Ivan Illich – Autor des Buches
"Die Entschulung der Gesellschaft" – die ständig wachsende Größe
von Schulen. Der kritische Punkt, an dem die Schule von einer lebensfördernden
und nützlichen zu einer lebenshemmenden und schädlichen Einrichtung
geworden sei, sei überschritten worden. Das Schulwesen insgesamt sei
überdimensioniert und dadurch immer unüberschaubarer und unplanbarer
geworden. Auch heute äußern Bildungsforscher, "daß der
nach Alter, Geschlecht, Interesse und Fähigkeit des einzelnen immer
differenziertere Bildungsbedarf durch immer differenziertere und gezieltere
Lernangebote beantwortet werden muß". Immer mehr sind als sogennante
Schlüsselqualifikationen Kreativität, Kooperationsbereitschaft,
Fähigkeit zu exakter Wahrnehmung und Konzentration gefragt. Ein zentralistisch
gesteuertes System mit einem staatlichen Bildungsmonopol mit eingeschränkten
Wahlmöglichkeiten ist immer weniger in der Lage, all dem zu entsprechen.
Gleichzeitig werden kleinere Schulen, die nicht vom Staat betrieben werden
und sich um Alternativen bemühen, finanziell benachteiligt.
Der ursprüngliche Anspruch, allen Menschen kostenlos angemessene
Bildung zur Verfügung zu stellen, wird immer weniger erreicht, wie
z.B. die Tatsache beweist, daß Firmen ihren Auszubildenden und sonstigen
Mitarbeitern sogar Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen bezahlen.
Ganz zu schweigen von den Unsummen, die für Nachhilfeunterricht privat
ausgegeben werden (gegenwärtig in Deutschland etwa 30 000 000 DM pro
Woche).
Der Anspruch einer humanistischen Gesellschaft, allen Menschen angemessene
Bildungsmöglichkeiten zu sichern, kann – zumindest nach Meinung der
Bildungsgutschein-Verfechter – vom Staat aufrecht erhalten und durchgesetzt
werden, wenn er sich darauf beschränkt, dafür zu sorgen, daß
die Verfassung und die Gesetze (Menschenrechte, Recht auf Bildung,...)
eingehalten werden. Hingegen steht die staatliche Aufsicht über Lerninhalte
und -methoden nicht zuletzt im Widerspruch zum Grundrecht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit.
Die zwei Grundtypen von Bildungsgutscheinen
Es gibt zahlreiche Gutscheinmodelle, die sich zwei Typen zuordnen lassen.
Auch diesen gemeinsam ist das Grundprinzip, daß jedes schulpflichtige
Kind einen Gutschein erhält, der von ihm bzw. seinen Eltern bei der
Schule der Wahl eingereicht wird. Die Schule kann diesen Schein dann bei
einer Behörde gegen Geld einlösen. Der Wert des Gutscheins entspricht
in etwa dem Betrag, der von der Gesellschaft im staatlichen Bildungswesen
je Kind aufgewendet wird.
Der erste Grundtyp von Bildungsgutscheinen setzt stark auf das Marktprinzip
im Bildungswesen. Die Idee (vor allem von Milton Friedman) geht davon aus,
daß Nachfrage und Angebot das System steuern werden. Der Staat wird
weitgehend ferngehalten. Sein uneffektiver Verwaltungsapparat, der Steuern
bei denen eintreibt, an die er sie wieder ausgibt, wird weitgehend überflüssig
gemacht. Der Regulationsbedarf reduziert sich gewaltig. Lediglich bestimmte
Mindeststandards müssen von den Schulen eingehalten werden (z.B. garantiertes
Fächerangebot). Für den Nachweis darüber erhalten sie eine
zum Einlösen der Gutscheine nötige Lizenz. Alle Schulpflichtigen
erhalten unabhängig von Einkommen und Vermögen gleiche Bildungsgutscheine,
sodaß für jeden ein garantiertes Minimum an Bildung gesichert
ist. Schulen, die von den Konsumenten nicht nachgefragt werden, gehen ein.
Die Hoffnung dabei ist, daß die Schulen sehr auf die Qualität
ihres Angebots achten müssen. – Allerdings können die Schulen
Schüler auswählen und gewinnorientiert wirtschaften. Nur staatliche
Schulen müssen eine sogenannte Schutzplatzgarantie gewähren.
In diesem Modell, das sich am Leistungs- und Profitgedanken orientiert,
werden sozialstaatliche Prinzipien außer acht gelassen. So sind die
Gutscheine auch privat ergänzungsfähig, d.h. wohlhabende Eltern
können zuzahlen.
Ganz anders ist das Modell der Jencks-Commission aufgebaut, das 1970
von einer amerikanischen Forschergruppe vorgelegt wurde und zum anderen
Grundtyp gehört. Es berücksichtigt die Interessen von benachteiligten
und unterprivilegierten Nachfragern. So sind die in diesem Modell vorgeschlagenen
geregelten Gutscheine je nach Einkommen ergänzungsfähig. Ziel
dieses Typs von Gutscheinmodellen ist es vor allem, die Kontrolle durch
den Staat abzubauen und die Selbstverwaltung der Schulen zu stärken.
Deshalb gehört zum Konzept auch eine "Bildungsgutscheinagentur" (Educational
Voucher Agency), die sich aus Vertretern der staatlichen und nichtstaatlichen
Schulen zusammensetzt und die Gutscheine und Zusatzgutscheine ausgibt.
Bestandteil des Modells sind staatliche Beratungs- und Informationspflicht
und öffentliche Rechnungslegung der Schulen. Gegen Elitebildung und
Diskriminierung bestimmter Einkommens- oder Bevölkerungsgruppen will
man bei Übernachfrage Verlosungen von einem Teil der Plätze durchführen.
Auch für Schulneugründungen, für ländliche Gebiete
und für Transportkosten ist an entsprechende Ausgleichs- bzw. Sonderzuwendungen
gedacht.
Hier ist nicht der Platz auf die zahlreichen Details mehrerer anderer
Gutscheinmodelle einzugehen. So ist teilweise ausführlich ausgearbeitet
worden, wie die Ergänzungsleistungen gerecht berechnet werden können
oder wie die Übergabe der Gelder/Gutscheine praktisch funktionieren
kann, z.B. auch durch Steuererlaß.
Im wesentlichen geht es bei allen darum, mit Hilfe des Gutscheins einen
geregelten Markt entstehen zu lassen, auf dem Schulen um Schüler "werben"
und Schüler wählen. Um den negativen Folgen freien Wettbewerbs
zu begegnen, muß sichergestellt sein, daß jede Familie gleiche
Wettbewerbschancen hat - also z.B. private Zuzahlungen nicht erlaubt sind.
Auch über Bedenken zu Aufnahmeregelungen, Bildungsqualität, elterliche
Interessenvertretung und Lehrerqualifikation wurde schon viel geschrieben.
Die Vertreter des Gutscheingedankens haben Antworten, die plausibel sind,
wenngleich eine endgültige Beurteilung aller Aspekte abschließend
nicht möglich ist. Insbesondere steht in allen Diskussionen das Problem
der Chancengleichheit im Mittelpunkt. Festgehalten werden muß, daß
weder im jetzigen Bildungssystem Chancengleichheit oder soziale Gleichheit
gewährleistet sind, noch daß zu erwarten ist, daß z.B.
herkunftsbezogene Ungleichheit allein durch weitere Verbesserungen im herkömmlichen
Bildungssystem ausgeglichen werden kann. Zu diesem Ergebnis kam auch eine
ausführliche Studie in 13 Industriestaaten.
Praktische Erfahrungen mit dem Gutschein wurden erst wenig gemacht.
In den USA gab es einen größeren Versuch unter sehr schlechten
Bedingungen, so daß eine vernünftige Beurteilung der Gutscheinidee
nicht möglich war.
Beim Besuch von K.R.Ä.T.Z.Ä. in der Wiener Schülerschule
(s. Regenbogen 20) wurde uns vom Gutschein-Experten Peter Moser vorgehalten,
daß unterm Strich von der Einführung des Gutscheins mehr Nach-
als Vorteile zu erwarten sein. Wir stellten fest, daß sich diese
Überlegungen auf die jetzigen Verhältnisse mit Schulpflicht.
Geht man von einer Umwandlung der Schulpflicht in ein garantiertes
Bildungsrecht aus – die Forderung von K.R.Ä.T.Z.Ä. – ergeben
sich hinsichtlich des Gutscheins neue Fragen. Auch für ein gesamteuropäisches
Bildungswesen, in dem Schulen verschiedener Länder besucht werden
können, ist die Finanzierung über Gutscheine eine interessante
Perspektive.
Mike Weimann
Lit.: Mathias Maurer, Der Bildungsgutschein - Finanzierungsverfahren
für ein freies Bildungswesen, Stuttgart 1994, 104 Seiten
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