KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 19

Editorial - Kinder an die Leine!
Jugendgewalt [Buchrezension]
Das Leben, das Universum und der ganze Rest [2. Fortsetzung von "Per Anhalter durch die Galaxis"]
Zensuren? - Nein danke!
Zensurenwillkür: Ein konkreter Fall
Kinderwahlrecht - Der 2. Versuch
K.R.Ä.T.Z.Ä. im Internet
K.R.Ä.T.Z.Ä. in Nicaragua
Kinderarbeit in Nicaragua
Abschlußerklärung von Estelí
Situation Nicaraguas
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
Tocotronic
Aufgelesen: Desert Blues
Neue Anschaffung [Autos/Kinder]
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Veranstaltungen
Umfrage
Lernen trotz Schule
Zum Schluß

Cover Ausgabe 19
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>TEIL EINER JUGENDBEWEGUNG<

Über >TOCOTRONIC<, ihre neue CD und ihr Konzert in der Volksbühne

Nach ganzen 50 Minuten soll nach Augenzeugenberichten das Konzert am 30.8. in der Volksbühne ausverkauft gewesen sein. Bis auf den 50. Platz in den deutschen Charts haben Tocotronic es mit ihrer CD geschafft. Auf das alles scheint Leadsänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow gar nicht besonders stolz zu sein, und auch, daß die Bravo mal leise angeklopft hat, scheint ihn nicht zu beeindrucken: "Man muß halt sehen, mit wem man redet und mit wem nicht." Voll von solch klaren Aussagen ist auch die neue Platte von Tocotronic, die Band, die nach einem Gameboy-Vorläufer benannt wurde: Wir kommen, um uns zu beschweren.
Ihre Songs sind kurz, die meisten gehen keine zwei Minuten lang. "Wir haben versucht in jedes Lied eine Idee zu packen und die dann nicht mehr so weit auszuschmücken wie in den älteren Platten. Zum Beispiel die Idee, daß einer aufwacht, und er hat die Zeitumstellung nicht mitgekriegt, er lebt sozusagen immer eine Stunde zu früh" sagt mir Dirk, mit dem ich vor einem Konzert die Möglichkeit habe, ein Interview zu machen. Eine Ausnahme, denn eigentlich haben sie keine Lust mehr auf Fragen beantworten - war ziemlich viel in letzter Zeit. Der Song Die Welt kann mich nicht mehr verstehen, der daraus entstanden ist, war - rein radiotechnisch - ein Erfolg. Einziges Manko: Er höre sich ein bißchen wie Musik von Green Day an, wie alte Tocotronicfans sich beschweren. Aber den Vorwurf, so neue Hörergruppen gewinnen zu wollen, läßt Dirk nicht auf sich sitzen: Das sei ihm auch erst später aufgefallen. Auch ihr erstes Video mit diesem Song sei nicht ein solcher Versuch gewesen, es läuft sowieso nur einmal täglich nachts auf Viva. "Wir haben ja zwei Videos gemacht - ein Song, der eigentlich viel zu kurz für 'n Video ist und So jung kommen wir nicht mehr zusammen, der eigentlich viel zu lang ist."
Die beklagte ständige Ich-Bezogenheit der jungen Menschen findet sich bei den dreien von Tocotronic eindeutig wieder: Die Hälfte der Songs fängt mit der 1. Person Singular an, darunter auch solche aussagekräftigen Titel wie Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith oder Ich bin ganz sicher schon einmal hiergewesen. Mit den Titeln geben sich Tocotronic mühe, aber das war schon immer so, und irgendwas muß sich doch verändert haben, wenn die "Tocos" inzwischen auch schon in Burgerking- Zeitschriften auftauchen. Und das findet selbst Dirk verwunderlich, "wo wir doch alle drei Vegetarier sind". Ich werde mich nie verändern ist auch so ein Ich-Song und eigentlich schon eine Antwort auf meine Frage - und richtig, eine andere bekomme ich auch nicht, nichts habe sich verändert seit der ersten und der zweiten Platte: ...auch wenn ich hin und wieder jetzt mal Fahrrad fahre, werde ich mich nie verändern, ich werde immer derselbe sein. Ich werde mich nie verändern, und vielleicht werde ich es mal bereuen, doch jetzt noch nicht wie es auf der dritten und aktuellen CD heißt.
Und wenn man ganz genau weiß, daß eine der vielen Lieblingszeilen - Es gibt nur cool und uncool und wie man sich fühlt - im Konzert garantiert mitgesungen wird, dann spricht sich Dirk mit dem Bassisten Jan Müller eben mal kurz ab und die Zeile wird so schnell gespielt, daß keiner mehr mitkommt. Auf Starallüren keinen Bock - Dirk malt immer noch keine Herzen neben seine Unterschrift: "Ach nee, komm!" Obwohl ja eigentlich neuerdings gilt: Es ist besser, vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren. Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren. Klar, denn das Spiel ist sicherlich nicht schwierig zu kapieren. Und wenn man jetzt genau hinhört, hat sich doch was verändert. Nicht nur musikalisch. Daß die Drei jetzt mehr technische Möglichkeiten genutzt haben - okay, aber Dirk oder gar Arne Zank - der unscheinbar harte Schlagzeuger - und Tennis? Es ist schon seltsam, daßich jetzt so etwas von mir lasse , gerade weil ich doch schon immer alle Ballsportarten hasse, doch ich muß meine alte Meinung revidieren: Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren.
Wenn Arne als Vorprogramm beim Konzert ein paar Solos mit Gitarre und Gesang zum Besten gibt, sind die Texte, die Stimmlage und das Tempo meistens noch ein bißchen unkonventioneller als sowieso schon immer: Ich mach meinen Frieden mit euch, hallo Vollidiot, hallo Arschloch. Überhaupt stehen Tocotronic - völlig unamerikanisch ausgesprochen - nicht selten ganz kurz vor der Schmerzgrenze. Manche Songs sind so langsam, daß ein Mitbewegen oder gar Klatschen im Takt nicht möglich ist, weil man zweifelsfrei immer zu früh kommt. Sonst spielen Dirk, Jan und Arne Punk ohne Wenn und Aber. Der Song Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein ist inzwischen schon Legende, oder wie es der Rolling Stone mitteilte: "Das könnte für Tocotronic schnell Wirklichkeit werden". Aber auch dieses Punkstück wird von einer endlos langen Zwischenmusik unterbrochen, in der Dirk jammert: Jetzt müssen wir wieder in den Übungsraum, oh Mann, ich habe überhaupt kein Bock.
Die Meinung über andere Bands ist auf der neuen CD auch zu einem Thema geworden: Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst ist dazu der eindeutigste Song. Und wenn sie jetzt vielleicht doch ein paar mehr Fans haben als vorher, "besser sie hörn uns als irgendein Scheiß" meint Dirk. Und was ist Scheiß - Take That? "Nöö, Take That ist auch okay. Aber zum Beispiel Selig, aber wenn die jemand gerne hört, ist das auch in Ordnung." Selbst würde Dirk lieber Techno machen, was er aber nach eigener Einschätzung "einfach nicht kann" oder wenigstens noch ein bißchen an seiner Housemusik-Theorie basteln. Tocotronic stellen anscheinend keine hohen Ansprüche. Ich möchte irgendwas für dich sein ist der längste Song und kommt mit zwei Zeilen absolut aus: Am Ende bin ich nur ich selbst.

Benjamin Kiesewetter

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