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Ausgabe 19

Editorial - Kinder an die Leine!
Jugendgewalt [Buchrezension]
Das Leben, das Universum und der ganze Rest [2. Fortsetzung von "Per Anhalter durch die Galaxis"]
Zensuren? - Nein danke!
Zensurenwillkür: Ein konkreter Fall
Kinderwahlrecht - Der 2. Versuch
K.R.Ä.T.Z.Ä. im Internet
K.R.Ä.T.Z.Ä. in Nicaragua
Kinderarbeit in Nicaragua
Abschlußerklärung von Estelí
Situation Nicaraguas
An-, Ab- und Aussichten [kurze Kommentare zu kinderrechtlichen/politischen Themen]
Tocotronic
Aufgelesen: Desert Blues
Neue Anschaffung [Autos/Kinder]
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Veranstaltungen
Umfrage
Lernen trotz Schule
Zum Schluß

Cover Ausgabe 19
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100 Seiten bitter nötige Kritik

Buchrezension "Jugendgewalt" von Freerk Huisken

Über das "Phänomen Jugendgewalt" streiten sich seit Jahren die Pädagogengemüter. Für die einen steht fest, was sie schon immer gewußt haben: die antiautoritäre Erziehung ist schuld. Kinder brauchen schließlich eine starke Hand, und wenn ihnen diese "verweigert" wird, flippen sie halt aus wie man sieht. Die anderen sind überzeugt, daß Kinder, die im Fernsehen Gewalt sehen, nichts besseres zu tun haben, als dem nächsten Schwächeren eins reinzuwürgen, den Lehrer zu erpressen oder Kalaschnikows auf dem Schulhof zu verkaufen (wie es z.B. in meiner Schule vorgekommen ist). Basieren tun diese Diskussionen auf Aggressionstheorien wie beispielsweise der "Triebtheorie" Sigmund Freuds: das Böse tief in uns usw. Grundsätzlich ist zu sagen, daß der Gewaltausbruch bei jungen Menschen logischerweise nur daher kommen kann, daß ihnen zu wenig Gewalt angetan wird. Her muß daher eine Erziehung, die pädagogische Grenzen aufzeigt (wie z.B. Fernsehverbote). Stolz verkündet der Berliner Kurier am 2.7.96 in der Rubrik "Tips & Trends" ein "Kinderschutz-Programm" der Fernsehfirma Grundig, das Sendungen nur nach Eingeben einer Geheimzahl ausstrahlt, wenn sie nicht mit dem Signal "jugendfrei" versehen sind. Aber wir reden ja hier nicht über Gewalt an Kindern, sondern von ihnen.
Drei Kapitel benötigt Freerk Huisken, um die derzeitige Diskussion und ihre "Argumente" blaß erscheinen zu lassen.
Sachverhalt: Weder die Gewalt in den Medien noch das Vorbild der "Ellbogengesellschaft" verdirbt die Jugend. Beide Theorien verkünden einen "Automatismus der Imitation", die "Unterscheidung zwischen Tatgründen und Anregungen zur Tatausführung" scheinen diesen Theorien fremd zu sein: "Kein Mensch ahmt ein Verhalten nur deswegen nach, weil er dieses Verhalten vorfindet." Bei den vorhandenen Fehlurteilen wird "jeder Wille zur Tat, jedes - wie falsch auch immer begründete - bewußte Motiv" herausgekürzt. Schon gar die nicht selten vernehmbare Theorie, den Jugendlichen fehle es nur an Selbstbewußtsein, ruft den kritischen Geist des Autors auf den Plan: Gerade das sei es, was den Gewalttätigen nicht fehle. Im Gegenteil: Selbstbewußtsein wird (nicht nur) von der Pädagogik zum Kult erhoben. Gemeint ist aber nicht Selbstbestimmung, sondern Selbstdisziplin: "Es geht um die Einübung einer Psycho-Technik, die Schüler dazu befähigen soll, zwischen ihren Willen und seiner Äußerung eine Art Wattepolster einzuschieben, das sich Selbstbeherrschung nennt." Das nennt Huisken "die bewußte Entfernung des Verstandes aus der Erziehung" oder auch "Wertepädagogik".
Dem zugrunde liegt eine Theorie, die den Menschen eine Eigenschaft zur Bösartigkeit oder Gewalttätigkeit unterstellt, die "weder für sich nachgewiesen noch korrekt erschlossen worden ist" wie Huisken angibt und kritisiert: "An keiner Stelle wird die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß die inkriminierten Heranwachsenden eine ganze Ansammlung falscher Gedanken über sich und die Welt im Kopf haben."
"Warum werden Kids so radikal?" Zwei Unterkapitel dieser Frage sind Familie und Schule. Institutionen, die sich vor Huiskens Kritik ebenfalls nicht drücken können. Er spricht von "Erziehungsgewalt" und kritisiert: "Als >intakt< gilt jene Familie, in der die unbedingte Nichtanerkennung der kindlichen Person als gewohnheitsmäßige Selbstverständlichkeit gilt." Die Schule stellt für Huisken eine "Pflichtveranstaltung" dar: "Die Freiheit, die dem Schüler eingeräumt wird, liegt in der Entscheidung über sein Pausenbrot und über das Ausmaß an Anstrengung, mit dem er sich den Unterrichtspflichten widmet."
Das Buch "Jugendgewalt - Der Kult des Selbstbewußtseins und seine unerwünschten Früchtchen" ist eine genüßlich-kritische Lektüre, 100 Seiten bitter nötige - aber destruktive - Kritik. Aber hier weiß Huisken eine Antwort: "Der Imperativ der konstruktiven Kritik erweist sich als eine Meßlatte, die die Kritik nicht auf ihre Stimmigkeit, sondern auf ihre Verträglichkeit mit zugelassenen Reformen überprüft." Und: "Aus der Kritik erwächst dem Kritiker keinerlei Verpflichtungen, schon gar nicht die zur Lieferung einer Alternative."
Diese Alternative liefern schon lange diejenigen, die die Gleichberechtigung fordern, gegen Erziehung und Schulpflicht eintreten.

Benjamin Kiesewetter

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