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Ausgabe 24
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Wahlrecht ohne Altersgrenze
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was bisher geschah
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und wie es weiterging
was bisher geschah
So, für alle die es schon wieder vergessen haben, noch gar
nichts über unsere Wahlrechtskampangen gehört haben, nicht von
Anfang an dabei waren oder alles einfach nochmal durchlesen wollen, hier
eine Zusammenfassung der ganzen Ereignisse und Aktionen.
Chronologische Reihenfolge der Ereignisse
Vom Ende des Jahres 1993 bis Februar 1994 haben wir am Grips-Stück
"Die Moskitos sind da!" bei der Aufstellung eines Parteiprogrammentwurfes
das im Programmheft abgedruckt wurde, mitgearbeitet. In dem Stück
ging es darum, daß die Politiker aus Wählermangel das Wahlrecht
ab 10 eingeführt hatten. Daraufhin gründete sich aber, zum Ärger
der Politiker, eine eigene Kinderpartei. Nachdem wir an diesem Theaterstück
mitgearbeitet hatten, kamen wir auf die Idee, das Wahlrecht für Kinder
einzuklagen. Im November 1994 nahmen wir an einer Fernsehtalkshow zum Thema
Kinderrechte teil. Bei dieser Talkshow trafen wir Herrn Merk und fragten
ihn, ob er sich vorstellen könnte, uns juristisch zu vertreten. Was
dabei herausgekommen ist, ist ja bekannt.
Am 23. August 1995 legten Benjamin Kiesewetter und Rainer Kintzel in
Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde wegen Vorenthaltung des Wahlrechts
ein. Diese Klage wurde am 15. Januar 1996 abgelehnt, mit der Begründung,
daß eine Verfassungsbeschwerde, die gegen ein Gesetz gerichtet ist,
nur binnen eines Jahres nach Verabschiedung des Gesetzes, erhoben werden
kann. Das hieße aber, daß Benjamin und Rainer die Klage bereits
Anfang der 50er Jahre hätten einreichen müssen, also lange vor
ihrer Geburt.
Daß das Gericht sich so herausgeredet und nicht auf unsere Argumentation
eingegangen war, war zwar ziemlich enttäuschend, aber wir hatten trotzdem
den Beginn einer öffentlichen Diskussion herbeigeführt und damit
auch auf die Diskriminierung von Kindern in vielen anderen gesellschaftlichen
Bereichen, wie zum Beispiel in der Schule und in der Familie, aufmerksam
gemacht.
Mit diesem Urteil gaben wir uns natürlich nicht geschlagen und
überlegten, wie wir die Ein-Jahres-Frist umgehen könnten. Wir
entschlossen uns, uns durch die Instanzen zu klagen. Am 23. August 1996,
also ein Jahr nach der Verfassungsbeschwerde, beantragten vier von uns,
die bei der Bundestagswahl noch nicht 18 waren, ins Wahlverzeichnis aufgenommen
zu werden. Die Wahlämter lehnten unseren Antrag nicht offiziell ab,
sondern schickten nur eine ablehnende Mitteilung, in der sie uns
auf das Bundeswahlgesetz hinwiesen. Wir konnten also keinen Widerspruch
einlegen.
Dann zog sich das ganze ein Jahr lang hin, bis Robert Rostoski am 4.
Mai 1997 beim Wahlamt Mitte beantragte, ins Wahlverzeichnis aufgenommen
zu werden. Am 14. Juni 1997 lehnte das Wahlamt Mitte Roberts Antrag ab.
Daraufhin legten wir Widerspruch ein. Es dauerte dann ca. ein halbes Jahr,
bis das Wahlamt unseren Widerspruch am 28. Januar 1998 ablehnte. Am 12.
Februar 1998 reichten wir Klage gegen diese Entscheidung des Bezirkamtes
von Berlin-Mitte ein.
Aktionen im Rahmen der Wahlrechtskampagnen
Am 23. August 1995 gaben wir eine Pressekonferenz anläßlich
der Einreichung der Verfassungsbeschwerde, daraufhin wurde in allen deutschen
Tageszeitungen über uns berichtet.
Ende September nahmen wir am natur-Kindergipfel in Berlin teil und
veranstalteten einen Workshop zum Thema Wahlrecht mit der Forderung: "Ein
Mensch - Eine Stimme!"
Auch in den folgenden Wochen gab es noch zahlreiche Medienauftritte
wegen der Verfassungsbeschwerde.
Im November nahmen wir an der zweitägigen Tagung der Grünen
Bundestagsfraktion "Vorfahrt für Kinder" teil, auf der unsere Forderung
ein großes Thema war.
Vom 22. - 24. Januar 1996 wurden wir von der Pädagogischen Hochschule
Heidelberg zum Hochschultag eingeladen, um einen Workshop zum Kinderwahlrecht
zu veranstalten.
Zwei Monate später gab es im Berliner Abgeordnetenhaus eine Diskussion
der Grünen zu diesem Thema, an der wir uns ebenfalls beteiligten.
Einige Zeit später lud uns die Berliner PDS zu ihrer Fraktionssitzung
ein.
Am 22. April 1996 waren wir eingeladen, in Bonn mit der Bundestagsvizepräsidentin
Antje Vollmer über das Wahlrecht für Kinder zu sprechen. Mit
zwanzig Leuten war es unsere bis dahin umfangreichste K.R.Ä.T.Z.Ä.-Fahrt.
Nach der Fahrt entwickelte sich ein Briefwechsel mit Frau Vollmer.
Anfang Juni fuhren wir zum 4. Linken Medienspektakel, um an einer Podiumsdiskussion
teilzunehmen.
Die letzte öffentliche Aktivität zum Kinderwahlrecht im Jahr
1996 war die Fahrt nach Kassel zum Jugendhearing der Bündnisgrünen.
Sechs Wochen später diskutieren wir in Niedersachsen mit Schülern
und Politikern.
Auch auf dem LandesSchülerInnenAusschuß Berlin ging es ums
Kinderwahlrecht, ebenso auf dem 4. Jugendmediencamp in Blankerförde.
Am 12.04.1997 sind zwei von uns nach Krefeld zum Bundesdeligiertentreffen
des Grün-alternativen Jugendbündnisses gefahren. Nach der Diskussion
zum Wahlrecht ohne Altersbegrenzung hat das GAJB beschlossen, unsere Forderung
zu übernehmen.
Im September 97 fuhren zwei KinderRÄchTsZänker nach Krefeld
zu einer Podiumsdiskussion u.a. mit Franz Müntefering und der Jugendministerin
von NRW.
Am 10. Oktober war K.R.Ä.T.Z.Ä. von der Grünen Jugend
nach Mainz eingeladen, um mit grünen Abgeordneten und dem Landtagspräsidenten
zu diskutieren.
Vom 12. - 16. Oktober 1997 waren wir beim JUMJA ’97 (JugendUMweltJAhrmarkt)
in Elmshorn und haben unter anderem einen Arbeitskreis zum Thema Wahlrecht
ohne Altersgrenze geleitet.
Vom 7. - 9. November 1997 waren wir dann beim Gründungskongreß
der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und nahmen
bei der Arbeitsgruppe "Gleichberechtigung der Generationen" teil, welche
einstimmig Wahlrecht für Kinder und Gleichberechtigung der Generationen
forderte.
Im Juni 1998 fuhren zwei Leute nach Mainz zum Kirchentag der "Initiative
Kirche von unten" zur Diskussionsrunde über Kindermitbestimmung.
Im September 1998 erschien ein Geschichtsbuch, in dem unsere Wahlrechtsforderung
abgedruckt ist.
Auch 1998 waren wir beim JUMJA und haben wieder einen Arbeitskreis
zum Thema Wahlrecht angeboten.
und wie es weiterging
Klage vor dem Verwaltungsgericht
Bereits im Februar 1998 hatten wir die Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht
eingereicht. Die Zeit verging, der Tag der Bundestagswahl kam näher,
aber das Gericht reagierte nicht.
Mitte August teilte unser Rechtsanwalt Dr. Merk dem Gericht (und wir
mit einer Pressemitteilung der Öffentlichkeit) mit, daß wir
die Bundestagswahl anfechten würden, wenn es bis dahin keine Gerichtsverhandlung
gäbe.
Schon fand sich ein Termin für uns. Montag, den 14. September
1998, 10 Uhr sollte es zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands eine
mündliche Gerichtsverhandlung über das Kinderwahlrecht geben.
Im Gericht trafen sich dann Herr Merk, Robert Rostoski, zwanzig weitere
KinderRÄchTsZÄnker, zahlreiche Journalisten (darunter fünf
Kamerateams) und der Richter, sowie die Beklagten vom Bezirkswahlamt Mitte.
Die Verhandlung dauerte insgesamt eine gute Stunde. Um die eigentlichen
inhaltlichen Punkte ging es aber gar nicht, sondern nur darum, ob die Klage
überhaupt zulässig ist.
Knapp zwei Stunden nach der Verhandlung wurde das Urteil mündlich
bekanntgegeben: Klage unzulässig. Das Verwaltungsgericht dürfe
nicht in die Durchführung der Bundestagswahl eingreifen. Das Gericht
sei nicht zuständig, wenn es um die Beanstandung des Wahlverzeichnisses
geht. Dafür sei der Bezirkswahlleiter zuständig, gegen dessen
Entscheidung, wir ja gerade geklagt hatten. Praktisch bedeutet dies eine
grundgesetzwidrige Abschneidung des Rechtsweges! Denn nach Art. 19 (4)
GG steht jedem, dessen Grundrechte verletzt werden, der Rechtsweg offen.
Zulässig wäre die Klage nur gewesen, wenn es ein "zu abstrahierendes
Feststellungsinteresse" gegeben hätte, was es aus der Sicht des Richters
aber nicht gab. Im Gegensatz zum Fall eines Auslandsdeutschen, der
sein Wahlrecht grundsätzlich eingeklagt hatte, ginge es im Falle Rostoski
nur um die bevorstehende Bundestagswahl, weil der Schüler danach 18
sei und an Wahlen teilnehmen dürfe.
Nur weil Kinder irgendwann erwachsen werden und somit aus ihrer rechtlichen
Benachteiligung herauswachsen (im Gegensatz zu Auslandsdeutschen und früher
z.B. Frauen), heißt das aber noch lange nicht, daß es kein
grundsätzliches Feststellungsinteresse in diesem Fall gibt. Ganz im
Gegenteil: Wir wollen ja gerade, daß "abstrakt" festgestellt wird,
daß es verfassungswidrig ist, die Unter18jährigen pauschal von
der Wahl auszuschließen.
Als Alternative schlug uns das Gericht vor, die Bundestagswahl anzufechten.
Anfechtung der Bundestagswahl
Jetzt – nach der Bundestagswahl – gibt es eine weitere Möglichkeit,
eine Änderung des undemokratisch geregelten Wahlrechts herbeizuführen:
ein Wahlprüfungsverfahren (= Anfechtung der Bundestagswahl). Das geht
so: Zunächst beanstandet man die Wahl beim Wahlprüfungsausschuß
des Deutschen Bundestages. Anschließend stimmt der Bundestag über
den Beschluß des Wahlprüfungsausschusses ab. Gegen diese Entscheidung
ist Klage beim Bundesverfassungsgericht möglich. Bei der Beschwerde
gegen den Beschluß des Bundestages vor dem Verfassungsgericht ist
es erforderlich, daß dem Beschwerdeführer 100 Wahlberechtigte
beitreten. Diese Leute suchen wir gerade. Auch Du kannst dazugehören.
Wir haben vor, daß nicht nur Robert Rostoski, der mit dem Antrag
auf Eintragung ins Wählerverzeichnis gescheitert ist, ein entsprechendes
Verfahren einleitet, sondern auch noch Martin Wilke, der bereits 18 ist
und Paula Sell (14), deren Alter unser grundsätzliches Ansinnen –
die Gleichberechtigung ohne Altersgrenze – so richtig deutlich macht.
Natürlich werden wir das ganze wie immer mit unserer Öffentlichkeitsarbeit
unterstützen. Dabei werden wir auch deutlich machen, daß unsere
Position vom konkreten, aktuellen Wahlausgang ganz unabhängig ist.
Daher geht es uns auch eigentlich nicht um Neuwahlen und natürlich
sind wir auch nicht an einer Destabilisierung der politischen Lage Deutschlands
interessiert J. Wir erhoffen vor allem, daß sich die Bundestagsabgeordneten
und die Richter und letztlich dadurch die Öffentlichkeit mit unseren
kinderrechtlichen Forderungen auseinandersetzen werden. In der Vergangenheit
gab es schon mehrfach Wahlprüfungsverfahren, die nicht zur Neuwahl
des Bundestages geführt haben, die jedoch prinzipielle Weichenstellungen
für die Zukunft ausgelöst haben.
Und jetzt kommt es:
Für diese Aktion und die Rechtsberatung in dem Verfahren kommen
auf uns erneut Kosten zu (ca. 12.000 DM). Da ein von uns eingeplanter Zuschuß
in Höhe von 5.000 DM abgelehnt wurde, sind wir sehr um die nötigen
Einkünfte besorgt. Wenn man davon ausgeht, daß 100 Unterstützer
je 100 DM zahlen (einige mehr – einige weniger) und wir die restlichen
2.000 DM selber bezahlen, könnte es doch noch klappen. Vielleicht
hast Du (oder Dein Freund oder Deine Oma oder Dein Verein) einen Zuschuß
für unsere Aktion übrig?! Frag uns nach einem vorausgefüllten
Überweisungsträger!
Spendenquittungen von uns können übrigens beim Finanzamt
zum Steuernsparen eingereicht werden.
Anna Fischer und Martin Wilke
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