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Ausgabe 24

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Die Diskriminierung des Kindes ein Menschenrechts-Report
Vorwort
Vor 50 Jahren, im Jahr 1948, verkündete die Generalversammlung
der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
In ihr werden in 30 Artikeln grundlegende Freiheitsrechte sowie wichtige
soziale Rechte deklariert. Diese Menschenrechte sollen die Grundlage für
jegliches Zusammenleben von Menschen darstellen. Sie gelten sowohl dem
Staat, als auch anderen Menschen gegenüber.
Die Menschenrechte sind an keinerlei Bedingung gekoppelt und gelten
ausdrücklich für alle Menschen, nicht nur für bestimmte
Gruppen wie etwa weiße Männer ohne Behinderung. Aber auch 50
Jahre nach der Deklaration der Menschenrechte werden einer bestimmten Gruppe
von Menschen immer noch zahlreiche Menschenrechte vorenthalten – und dies
meist mit größter Selbstverständlichkeit. Die Gruppe, von
der hier die Rede ist, sind die "Minderjährigen", also Kinder und
Jugendliche.
Wie gewöhnlich und "normal" die an Kindern und Jugendlichen begangenen
Menschenrechtsverletzungen sind, wird im Hauptteil deutlich. Weist man
auf diese alltäglichen Menschenrechtsverletzungen hin, bekommt man
oft erklärt, weshalb Menschenrechte für Kinder nicht so wichtig
seien, Kinder keinen vollen Anspruch auf die Menschenrechte haben könnten,
Menschenrechtseinschränkungen "durchaus sinnvoll" seien, usw. Deshalb
wird zunächst im folgenden Text erklärt, weshalb die Menschenrechte
– und letztendlich die Gleichberechtigung – für junge Menschen genauso
gelten müssen wie für erwachsene.
Die Gleichberechtigung des Kindes –
eine menschenrechtliche Selbstverständlichkeit
Kinder sind zweifelsfrei Menschen. Deshalb haben auch sie eine unantastbare
Menschenwürde – die gleiche unantastbare Menschenwürde wie alle
erwachsenen Menschen. Eine Unterschiedlichkeit ihrer Menschenwürde
wäre schlicht unbegründbar. Sonst müßten wahrscheinlich
auch Frauen und Männer eine unterschiedliche Menschenwürde haben,
kluge und weniger kluge, behinderte und nicht behinderte, arme und reiche,
und überhaupt alle Menschen müßten eine verschiedene Menschenwürde
haben. Das wäre natürlich Unsinn. Alle Menschen haben die gleiche
Menschenwürde.
Und allgemein werden die Menschenrechte aus dieser Menschenwürde
hergeleitet. Da alle Menschen in ihrer Menschenwürde gleich sind,
wäre es sehr unlogisch, wenn einige Menschen weniger Menschenrechte
hätten als andere. Deshalb haben alle die gleichen Menschenrechte
– auch Kinder.
Es ist grundsätzlich ungerecht, Menschen aufgrund einer Eigenschaft
zu diskriminieren, für die sie nichts können. Nicht nur Geschlecht,
Hautfarbe, Behinderung und Staatsangehörigkeit sind solche Eigenschaften,
sondern auch das Alter eines Menschen. Einen Menschen aufgrund seines Alters
rechtlich zu benachteiligen ist kein bißchen besser, als ihn aufgrund
seiner Hautfarbe zu diskriminieren.
Daß Kinder im allgemeinen weniger Fähigkeiten haben als
Erwachsene, kann in keinem Fall ein Argument sein, um Kindern Rechte vorzuenthalten.
Es ist wichtig, sich klar zu machen, daß ein Recht und eine Tätigkeit
nicht das selbe sind. Ein (Menschen-)Recht zu haben, heißt, daß
man an einer Handlung nicht gehindert werden darf. Es heißt nicht,
daß man die Handlung jemals begehen muß. Es heißt nicht
mal, daß man körperlich und geistig dazu überhaupt fähig
sein muß. Das Recht auf freie Meinungsäußerung beispielsweise
verpflichtet niemanden, sich zu einer Thematik zu äußern; es
stellt nur klar, daß niemand daran gehindert werden darf. Und auch
denjenigen Menschen, die – z.B. aufgrund einer Behinderung – in ihrer Fähigkeit
zur Meinungsäußerung eingeschränkt sind, wird dieses Recht
nicht entzogen. Welchen Sinn sollte es auch haben, jemandem, der sich ohnehin
nur schwer äußern kann, dies nun ganz zu verbieten? Vielmehr
muß gerade diesem Menschen besonders geholfen werden, muß gerade
auch er dieses Recht haben.
Denn Grundgedanke der Menschenrechte ist der Schutz Schwächerer.
Alle Menschen haben ein unterschiedliches Leistungsvermögen, haben
unterschiedliche Fähigkeiten. Das führt dazu, daß einige
Menschen bei Konflikten von Natur aus immer unterlegen sind und einige
andere immer den Sieg davontragen. Konflikte wären immer schon im
Voraus entschieden, weil der Fähigere sich immer durchsetzen kann
und der Schwächere dem schutzlos ausgeliefert wäre. Es bestünde
Faustrecht, das Recht des Stärkeren. Aus diesem Grund wurde die Kategorie
"Recht" erfunden. Der Schwächere sollte vor der Macht des Stärkeren
geschützt werden. Der Schwächere bekam ein Recht, d. h. er durfte
bestimmte Handlungen begehen. Daran durfte ihn keiner hindern, also auch
der Starke nicht. Natürlich durfte auch der Starke nicht unterdrückt
werden. Also bekam auch er das Recht, das der Schwache bekommen hatte.
Keiner von beiden mußte nun mehr befürchten, vom anderen unterdrückt
zu werden, denn jegliche Konflikte mußten vor dem Hintergrund der
Menschenrechte gelöst werden, und auf der Ebene der Rechte waren nun
beide gleich. Logischerweise gilt, daß das Recht des einen da aufhört,
wo das Recht des anderen eingeschränkt wird. Mit anderen Worten: Man
kann tun und lassen, was man will, solange man dadurch nicht die Rechte
anderer verletzt. Selbstbestimmungen in Bereichen, die nur den Einzelnen
angehen und Mitbestimmung in Bereichen, die alle angehen. Das sind die
Grundprinzipien von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie.
Da Kinder und Jugendliche in vielen Bereichen weniger Fähigkeiten
haben – schwächer sind –, sind gerade sie auf den Schutz durch Rechte
angewiesen. Wenn man ihnen – wie heutzutage üblich – die Gleichberechtigung
verwehrt, verfehlt dies die Grundidee der Menschenrechte.
Schutz darf grundsätzlich nie bedeuten, daß die Rechte der
zu schützenden Person eingeschränkt werden. Gegebenenfalls ist
sie von einigen Pflichten zu entbinden, oder erhält in einzelnen Situationen
zusätzliche Rechte aufgrund ihrer verminderten Fähigkeiten. Rollstuhlfahrern
z.B., die ja in ihrer Fähigkeit sich fortzubewegen eingeschränkt
sind, wird nicht etwa das Autofahren verboten, sondern ihnen wird dabei
geholfen. Beispielsweise werden sie von der Pflicht, bestimmte Steuern
zu zahlen, entbunden. Der Vergleich von Kindern und Menschen, die eine
Behinderung haben, ist deshalb geeignet, weil beide über weniger Fähigkeiten
verfügen als durchschnittliche Erwachsene. Diese geringeren Fähigkeiten
stellen für kaum einen Politiker oder Juristen ein Hindernis dar,
wenn es um die grundsätzliche Gleichberechtigung behinderter – oder
auch altersschwacher – Menschen geht. Für Kinder und Jugendliche muß
eigentlich das selbe gelten.
Daß an Rechte auch Pflichten geknüpft sind, stimmt nur für
die Kategorie der Ordnungsrechte: Wer einen Vertrag schließt, kann
nicht eine einseitige Erfüllung erwarten, sondern muß auch seinen
Teil erfüllen. Die Menschenrechte hingegen sind absolut unabhängig
von Pflichten. Schließlich sind die Menschenrechte ja gerade auch
für die Schwächsten da, die oft gar nicht dazu in der Lage sind,
eine Pflicht zu erfüllen.
Entsprechend ist das jetzige Prinzip, Kindern mit zunehmendem Alter
mehr Rechte zu geben, völlig falsch, weil so die Rechte nur denen
gegeben werden, die ohnehin schon "stark" sind, sie aber denen vorenthalten
werden, die "schwach" sind und sie daher am dringendsten brauchen.
Alle Menschen müssen von Anfang an die gleichen Rechte haben,
und je "stärker" sie werden – das muß nicht am Alter gemessen
werden –, desto mehr Pflichten können sie übernehmen.
Wenn Kinder und Jugendliche in vollem Umfang die Menschenrechte haben
und gleichberechtigt sind, hat dies weitreichende Auswirkungen auf das
Schulsystem, auf das Zusammenleben in der Familie, auf die Demokratie,
auf den Jugendschutz und letztlich auf die gesamte Stellung "Minderjähriger"
in der Gesellschaft.
Eine Gesellschaft, in der es keine Diskriminierung mehr gibt, wird
mit Sicherheit eine wesentlich friedlichere und gewaltfreiere sein, weil
Menschen, deren Rechte geachtet wurden, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
auch die Rechte anderer achten. Menschen, die nicht diskriminiert und unterdrückt
wurden, werden die Prinzipien von Unterdrückung, Macht und Diskriminierung
nicht auf andere anwenden. Sie haben andere Formen der Konfliktllösung
und des zwischenmenschlichen Umgangs gelernt.
Die Gleichberechtigung wirklich aller Menschen wird sicher nicht sämtliche
Probleme der Menschheit lösen. Aber nach der – zumindest gesetzlichen
– Gleichberechtigung der Frauen, der Schwarzen und der Menschen mit Behinderung
wäre die Gleichberechtigung der Kinder ein logischer, konsequenter
und dringend gebotener Schritt.
Im zweiten und dritten Teil geht es um konkrete Menschenrechtsverletzungen
an Kindern und Jugendlichen: Altersgrenze beim Wahlrecht, Schule, Elterliche
Übermacht und Erziehung, Kinder- und Jugendschutz
[Unter
http://kraetzae.de/menschenrechtsreport/
findet man den gesamten Menschenrechtsreport]
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