KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 24

Editorial
KRÄTZÄ erkundet dänisches Schulsystem
Im Internet gut gefunden
Wahlrecht ohne Altersgrenze
Nie wieder Prügelstrafe!
Züchtigung verbieten!
K.R.Ä.T.Z.Ä.-Aktionen
Gedicht (Lena Grünberg)
Freundschaft mit Kindern - à la Schoenebeck (Mike Weimann)
K.R.Ä.T.Z.Ä. macht Geschichte
K.R.Ä.T.Z.Ä. auf japanisch
Kinderrechtliche News
Wie es zum Menschenrechts-Report kam... - ... und was wir mit ihm machten
Die Diskriminierung des Kindes - ein Menschenrechts-Report (Teil 1)
Nix ist ohne Geld alles Mist

Cover Ausgabe 24
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KRÄTZÄ erkundet dänisches Schulsystem

13 Tage lang im August 1998 fuhren wir KinderRÄchTsZÄnker nach Dänemark. Die Idee für unsere Begegnung mit dänischen Jugendlichen bestand in erster Linie darin, den Schulalltag von einigen dänischen Schulen mitzuerleben, viele Gespräche zu führen und gemeinsam etwas zu unternehmen. In diesem Text habe ich versucht, auch die vielen Gedanken und Gespräche zu beschreiben, die sich bei den Begegnungen mit den sehr verschiedenen Menschen ergeben haben.
Mit einem Brief an das dänische Büro von "Jugend für Europa" am 02. Dezember 1997 begannen wir mit der Suche nach dänischen Alternativschulen und Jugendprojekten, die an einem Austausch mit uns KinderRÄchTsZÄnkern interessiert waren. Unsere Idee war es, Alternativen zum deutschen Pflichtschulsystem und gesellschaftliche Mitbestimmungsformen junger Menschen in Dänemark zu erforschen. Wir wollten unsere Erfahrungen mit Schule, Familie und Gesellschaft austauschen und über grundsätzlich kinderrechtliche Forderungen diskutieren.
Der Kontakt mit der Hørsholm Lille Skole entstand schließlich durch einen Hinweis des Verbandes der freien Alternativschulen und dank der Vermittlung von Ralf Skovgaard, Mitarbeiter des "Danish national board of small independent schools". Trotz unserer frühen Briefe seit Januar an Jesper Lund und Vibe Andersen von der Hørsholm Lille Skole erhielten wir sehr wenig Informationen über deren Schule und Vorstellungen eines Austauschs. Im März ernannten wir ein Planungskommitee, das im Briefwechsel mit den Dänen ein gemeinsames Programm absprechen sollte. Die schlechte Verständigung hatte zur Folge, daß die Dänen ihren Antrag zur Deckung der Aufenthaltskosten nicht fristgerecht einreichen konnten. Trotzdem bestätigten wir uns gegenseitig, daß Interesse an einer Begegnung besteht und blieben in Kontakt. Anfang Juni organisierten wir ein umfangreiches Planungswochenende und starteten in die "heiße Phase" der Vorbereitung. Wieder wurden unsere Briefe mit Info-Materialien, Vorschlägen und den vielen offenen Fragen nicht beantwortet, diesmal wegen der dänischen Sommerferien. Anfang Juli wurde dann unser Antrag zur Deckung von Organisations- und Fahrtkosten bewilligt. Erst zwei Wochen vor unserer Abfahrt konnten wir telefonisch Details der Übernachtung und einzelner Programmpunkte besprechen. Diese Planungsschwierigkeiten im Vorfeld prägten den gesamten Ablauf unserer Begegnung. Alle waren angewiesen auf eine hohe Kooperationsbereitschaft, Spontanität und Flexibilität. Viele Termine mit anderen Schulen oder Projekten konnten erst kurzfristig vereinbart werden und oft planten wir erst in den fast täglichen Besprechungen den genauen Verlauf der nächsten Tage. Das besondere Entgegenkommen vieler Leute von der Hørsholm Lille Skole führte dazu, daß wir unsere Situation meist sehr unkompliziert meistern und viele Interessen aller Mitfahrer berücksichtigen konnten.
Die ganze Zeit über waren wir im Schulgebäude untergebracht. Bis zum Beginn des Unterrichts - also bis 8 Uhr morgens - mußten wir unsere Schlafsäcke zusammengeräumt und die Klassenräume wieder hergerichtet haben. In der zweiten Woche bestand außerdem die Möglichkeit, auf dem Schulgelände zu zelten. Die Offenheit und das Vertrauen, das uns von vielen Leuten der Lille Skole entgegengebracht wurde, überraschte uns. Wir bekamen die Schlüssel für die Schule, den Musikraum, die Sporthalle und den Werkzeugkeller. Die neu eingerichtete große Küche konnten wir nutzen, sodaß wir optimale Unterkunfts-Bedingungen hatten.
Die ganze erste Woche beteiligten wir uns am Unterrichtsablauf der beiden neunten Klassen, die von Jesper Lund und Vibe Andersen betreut wurden. Dabei wurde uns das dänische Schulsystem dargestellt, wir diskutierten über Zwang und Selbstbestimmung in der Schule, tauschten Erfahrungen aus und erklärten die Gedanken und Forderungen von K.R.Ä.T.Z.Ä. In den Zwischenzeiten bauten wir unser mitgebrachtes Ausstellungsstück "Kleine deutsche Schule" fertig, welches allerdings später nicht mehr - wie gedacht - an öffentlichen Plätzen präsentiert wurde. Bei dem Ausstellungsstück handelte es sich um ein 1m mal 1m kleines dunkles Schulgebäude, in dem eine Kassette mit langweiligen Schulaufgaben und fiesen Lehrersprüchen lief, die den deutschen Schulalltag zusammenfassen sollte.
Nach der Schulzeit saßen wir meist noch mit Jesper, Vibe und mehreren Jugendlichen zusammen, verabredeten die nächsten Termine und sprachen über die gewonnenen Eindrücke. Manchmal führten wir dann die Gespräche weiter, für die wir im Unterricht keine Zeit mehr hatten. So wurden wir von Jesper und Vibe immer wieder gebeten, deutsch und nicht englisch zu sprechen, damit sich die Schüler besser darin übten. Vielen von uns war diese "Anordnung" zu "pädagogisch", weil es ja andererseits auch um eine Verständigung und inhaltliche Auseinandersetzung ging, die im Englischen leichter fiel. Auch die Situation an der Schule und das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern wurde im Unterricht angesprochen, diskutiert und kritisiert. Die Tatsache, daß die Schüler auch Kritik übten an der Lehrerrolle, führte manchmal zu einer angespannten Stimmung, die wir dann in unseren Nachbesprechungen noch mal ansprechen konnten.
Die Nachmittage und Abende nutzten wir zum Schwimmen gehen, am Lagerfeuer sitzen, nach Kopenhagen fahren und zu vielen anderen Dingen. Für ein gemeinsames Fest bereiteten wir kleine Kulturbeiträge vor und kochten gemeinsam. Durch die zwei Kleinbusse, mit denen wir unterwegs waren, konnten wir schnell und unkompliziert kleine Ausflüge machen. Auf einer gemeinsamen Stadtwanderung zeigten uns die Dänen Kopenhagen und das Tivoli. In der selbstverwalteten "Republik" Christiania verbrachten wir einen ganzen Tag. Eine Begleiterin erklärte uns die Gesetzmäßigkeiten und Organisation von Christiania. Sie erzählte von der anfänglichen Besetzungsidee 1971, den folgenden Auseinandersetzungen mit Polizei und Drogendealern und den ständigen Verhandlungen mit dem Verteidigungsministerium, von welchem das Gelände nur gepachtet ist. Wir bekamen einen Einblick über die Wohn- und Arbeitssituation der Bewohner in Christiania. Wir trafen uns mit den Rebels - einer der größten Jugendorganisationen Dänemarks mit 500 Mitgliedern in 25 Städten. In dem Gespräch gerieten wir schnell in eine grundsätzlich politische Diskussion über Kapitalismus, Anarchie und eine Revolution, mit welcher die Rebels gegenwärtige Ungerechtigkeiten aufheben wollen. Die Diskussion wurde nicht zu Ende geführt, hat aber gerade dadurch zur Nachdenklichkeit angeregt.
Im Børnehuset - ein von Jugendlichen selbstverwaltetes Jugendkulturzentrum erfuhren wir, wie unkompliziert dieses Haus für Jugendliche zur Verfügung steht, von denen einige selbständig einen Etat für Anschaffungen oder Aktionen verwalten. Auf wöchentlich stattfindenen Plena werden mögliche Aktivitäten besprochen. Das Børnehuset ist auch so eine Art Anlaufstelle, Freizeitraum und Aufenthaltsort für junge Leute. Ein Unterschied zu Deutschland ist vor allem, daß hier Räumlichkeiten zur Verfügung stehen ohne Aufpasser und ohne pädagogisches Konzept.
In den zwei Wochen lernten wir drei verschiedene Schultypen kennen: eine Folkeskole, die Hørsholm Lille Skole als eine sehr von Eltern mibestimmte freie Einheitsschule (1. bis 9. Klasse) und eine alternative Freie Schule (DAS) mit den Klassen 8, 9, 10. In letzterer setzen sich die Schüler vor Beginn des Schuljahres zusammen und bestimmen inhaltliche Schwerpunkte und Organisatorisches ihres Lehrplans. Sie übernehmen Verantwortungsbereiche, beraten über Konfliktlösungen und kümmern sich - ohne Personal - um solche Dinge wie Sauberkeit, Essen und Anschaffungen.

Wir stellten fest, daß in Dänemark durch geringe staatliche Vorgaben und Einmischung, Schulen sehr unterschiedlich arbeiten können. Und weil auch freie Schulen vom Staat mit bis zu 80% finanziell gefördert werden, kommt es zu einer sehr vielfältigen Schullandschaft.
In einem zweistündigen Gespräch mit Johannes Bang - Chefratgeber für Unterrichtsfragen im dänischen Unterrichtsministerium - berichtete er uns von den guten Beziehungen zwischen Schulen und dem Ministerium. Kriterien für eine staatliche Unterstützung von Privatschulen betreffen in erster Linie organisatorisch-technische Voraussetzungen. Einzige inhaltliche Vorgabe sei, daß Inhalt und Unterricht den gleichen Anforderungen wie an Volksschulen entsprechen müßten. Mitarbeiter des Ministeriums nehmen die Rolle von Beratern ein. Sie sind nicht - wie in Deutschland - weisungsbefugt. Unangemeldet dürfen sie sogar eine Schule gar nicht betreten. Lange sprachen wir über die Erfolge und Probleme des dänischen Schulsystems wie z.B. die Umsetzung des Vorsatzes: Kooperation statt Verbot und Strafe, oder auch: Freiheit statt Zwang und die Frage: Wieweit soll und darf der Staat sich in Angelegenheiten der Ausbildung von Kindern einmischen? Johannes Bang befürchtete, daß auch die (dänische) Schule es schaffe, den Schülern, die Lust am Lernen, mit der sie in die Schule kommen, im Laufe der Jahre zu nehmen. Ihn beunruhigte, daß die Schule den Schülern beibringe, sie seien "dumm". Ihr Ziel als Unterrichtsministerium sei es, den Unterricht noch mehr zu individualisieren, um noch mehr auf den einzelnen Schüler eingehen zu können.
An vielen Beispielen aus dem Lebens- und Schulalltag diskutierten und stritten wir immer wieder darüber, ob im genannten Einzelfall eine Zwangsmaßnahme überhaupt sinnvoll und nötig gewesen sei. In dem sehr offenen und ehrlichen Gespräch ist wieder deutlich geworden, daß selbst in dänischen Schulen bisher weniger die Mitbestimmungsrechte von Kindern als die der Eltern gestärkt wurden.
In unseren Gesprächen mit den Schülern wurde der Einfluß der Eltern deutlich, denen im dänischen Schulsystem erheblich mehr Mitgestaltungsrechte als in Deutschland eingeräumt werden. Schüler scheinen oft erheblich unter dem Druck ihrer Eltern zu stehen. In Deutschland beklagen Schüler vor allem den Druck, dem sie durch Lehrer und staatliche Pläne ausgesetzt sind.
Manche Lehrer haben uns berichtet, daß sie ihren Unterricht in hohem Maße auch mit den Eltern abzustimmen haben. In Deutschland sind Lehrer vor allem angewiesen, staatliche Lehrpläne umzusetzen. Wegen zahlreicher Schulen, die in Dänemark sehr unterschiedlich arbeiten können, entscheiden sich Eltern oft sehr bewußt für eine Schule und beteiligen sich bei freien Schulen meist auch finanziell an den Unkosten. Gerade wegen der im dänischen Schulwesen vorgesehenen größeren Freiheit in der Schulwahl, bekommen Eltern eine Mitverantwortung, sich um eine angemessene Schulbildung ihrer Kinder zu kümmern. Dadurch geraten Eltern in der Beziehung zu ihren Kindern auch in eine andere Rolle als die, die sie in Deutschland gewöhnlich wahrnehmen.
Ein Schlüsselwort, auf das wir in beinahe allen unseren Gesprächen hingewiesen wurden war Verantwortung für sich selbst. Der Leiter der Hørsholm Lille Skole Björn sagte in einem Gespräch: "Was die Leute hier lernen mögen, ist verantwortlich für sich zu sein. Sie sollen nicht die Antworten parat haben, sie sollen in der Lage sein, Fragen zu stellen, zu reflektieren und die Antwort suchen." In Dänemark habe sich in den letzten Jahrzehnten ein solcher Zeitgeist entwickelt. "Die Leute wollen mehr Selbstbestimmung, mehr Verantwortung für ihr Leben." Immer, wenn davon die Rede war, sahen wir oft den Widerspruch, einerseits auf die Eigenverantwortlichkeit der Schüler hinzuweisen, andererseits aber Rahmenbedingung und Regeln festzulegen, die Freiheiten von Schülern einschränken und die von den Schülern meist nicht verändert werden können. Schüler können auf diese Weise gar nicht mitbestimmen, welche Situationen sie mitverantworten sollen. Nur in der Freien Alternativschule waren die Schüler an Entscheidungsprozessen beteiligt und konnten Regeln und Verabredungen z.B. über die Planung der Unterrichtsinhalte, Verantwortungsbereiche oder Exkursionen mitbestimmen. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeiten schien uns der ständige Hinweis von Lehrern auf die Eigenverantwortung der Schüler eher ein Ausweichmanöver, um die eigene Zuständigkeit abzustreiten.
Wir haben viele neue Eindrücke und Einblicke gewonnen. Unsere hohen Erwartungen, in Dänemark Schulen anzutreffen, an denen alle gleichberechtigt, also ohne Zwang, miteinander umgehen, leben und lernen, sind allerdings enttäuscht worden. Trotzdem haben wir viele sehr offene Gespräche geführt, in denen wir mit interessierten Leuten grundlegend kinderrechtliche Themen diskutierten und vieles über das dänische Schulsystem erfahren haben.
Die beiden von K.R.Ä.T.Z.Ä. beklagten Charakteristika des deutschen Schulsystems, verordneter Lern- und Anwesenheitszwang, fehlten nicht einmal an der von uns besuchten Freien Alternativschule DAS.
Beispiele für Schulen ohne Zwang, die wir für unsere Argumentation gegen die deutsche Zwangsschule kennenlernen wollten, sind längst nicht üblich in Dänemark. Auch an dänischen Schulen haben wir Zwang und Druck, besonders auch sehr engagierter Eltern erlebt, unter dem viele Schüler leiden, und wogegen sie sich kaum wehren können. Wegen der Entfernungen durch die ländliche Gegend, in denen viele der Schüler wohnten, gab es nur begrenzt Zeit, sich kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Viele unserer Gespräche machten uns neugierig und waren anregend, obwohl wir alle unterschiedlich alt waren und das Interesse an kinderrechtlichen und politischen Themen unterschiedlich groß war. Im Frühjahr erwarten wir einen Gegenbesuch der Klassen von Jesper Lund und Vibe Andersen und wir werden unsere Auseinandersetzung mit dem deutschen Schulsystem im europäischen Vergleich weiterführen.

Christoph Klein

Ausführlicher nachzulesen ist all dies in unserer Auswertungsbroschüre "...von wegen alles besser! - Erfahrungen mit dem dänischen Schulsystem" - Auszüge findet man auf unseren Internetseiten.

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