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Ausgabe 20

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Chemie-Verweigerung
Eine Zusammenfassung
Der damals 16jährige Schöneberger Zehntklässler Benjamin
Kiesewetter kündigt Ende Februar 1996 seiner Schulleitung an, künftig
den Chemieunterricht nicht mehr zu besuchen. Dies begründet er ausführlich
in einem siebenseitigen Schreiben. Er argumentiert, daß die Lerninhalte
des Chemieunterrichts für ihn überflüssig seien, seine Kraft
und Zeit verschwendeten, daß die Unterrichts- und Lernbedingungen
gesundheitsgefährdend seien und seiner Entwicklung schadeten. Des
weiteren erklärt er, welchen Schaden unfreiwilliges Lernen anrichten
könne, daß das Fach Chemie für sein Abitur nicht von Bedeutung
sei, da er es nach der elften Klasse ohnehin abwählen kann, sowie
daß kinderrechtliche, menschenrechtliche, juristische und gehirn-forschungstechnische
Erkenntnisse darauf hinweisen, daß der Lernzwang verfassungswidrig
sei.
Die Schulleitung lehnt Benjamins Antrag wenige Tage später ab,
allerdings ohne auf seine Begründung einzugehen.
Anfang Juni ziehen der Schüler und die KinderRÄchTsZÄnker
den Rechtsanwalt Jens A. Brückner hinzu.
Oberschulrat Schmidt erklärt Benjamin und seiner Mutter bei einem
einstündigen Gespräch im Juni, daß Bußgeld verhangen
werden kann und daß Benjamin bei weiterem Fehlen in der elften Klasse
aufgrund von "fehlendem Bildungswillen" aus der Schule ausgeschlossen werden
könne.
Gegen die Ablehnung der Befreiung vom Chemieunterricht legt Rechtsanwalt
Brückner Widerspruch ein.
Benjamin Kiesewetter erhält auf dem Zeugnis die Note 6 im Fach
Chemie, wird aber in die elfte Klasse versetzt.
Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Befreiung wird an die Rechtsabteilung
des Landesschulamtes weitergeleitet.
Herr Brückner teilt dem Oberschulrat mit, daß der Tatbestand
"fehlender Bildungswille" aufgrund der "Redlichkeit des Auftretens und
der Lauterkeit der Motive" nicht zutreffend sei. Außerdem beantragt
er die Befreiung vom Chemieunterricht für das Schuljahr 1996/97 und
eine Änderung des Zeugnisses, daß das Fach Chemie unbenotet
bleibt.
Trotz des Protestes der Schülersprecher entscheidet die Klassenkonferenz
am 17.09., eine Empfehlung herauszugeben, daß der Ausschluß
schriftlich angedroht wird.
In einem Brief an alle Lehrer, Eltern- und Schülersprecher bittet
Benjamin darum, inhaltlich die Argumente zu überprüfen. Er weist
auch darauf hin, daß sehr wohl die Möglichkeit besteht, den
Ausschluß nicht zu empfehlen.
Am 1.Oktober spricht Oberschulrat Schmidt die Androhung des Ausschlusses
von der besuchten Schule schriftlich aus.
Der Rechtsanwalt legt Widerspruch gegen die Ablehnung der Befreiung
vom Chemieunterricht für die 11. Klasse ein. Am 23.10. klagt er beim
Berliner Verwaltungsgericht, um die Befreiung zu erreichen.
Der Schüler kündigt in einem Protestschreiben an, "aus Angst
vor dem tatsächlichen Rausschmiß" den Chemieunterricht wieder
zu besuchen. Dennoch entscheidet sich die Gesamt-Lehrer-Konferenz der Robert-Blum-Oberschule
einen Tag später mit 43 zu 4 Stimmen für den Rauswurf.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt eine Umschulung. Auch der
Oberschulrat sieht diese in einer schriftlichen Mitteilung beim zweiten
Gespräch mit Benjamin Kiesewetter vor.
Unter Mißachtung der aufschiebenden Wirkung des dagegen eingelegten
Widerspruchs wird Kiesewetter von der Schulleitung des Gebäudes verwiesen.
Beim Verwaltungsgericht wird daraufhin eine Antrag auf Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung gestellt.
K.R.Ä.T.Z.Ä. gibt eine Pressemitteilung und einen Kommentar heraus.
Erst am 2. Dezember wird die Ordnungsmaßnahme schriftlich begründet.
Am 13.12. findet vor dem Berliner Verwaltungsgericht der Versuch einer
gütlichen Einigung statt. Der Richter schlägt vor, daß
Benjamin wieder am Chemieunterricht teilnimmt, was er zu diesem Zeitpunkt
sowieso schon tut und daß das Landesschulamt die sofortige Vollziehung
zurücknimmt. Die Einigung wird einige Tage später von beiden
Seiten angenommen, K.R.Ä.T.Z.Ä. gibt wieder eine Pressemitteilung
heraus.
Seit Januar 1997 geht Benjamin wieder auf seine alte Schule.
Am 13.02. findet eine große Pressekonferenz im Roten Salon der
Volksbühne statt, zu der etliche Kamerateams und andere Journalisten
kommen.
Am darauffolgenden Tag wird im Verwaltungsgericht das eigentliche Anliegen,
nämlich die Befreiung vom Chemieunterricht, verhandelt.
Nach einer Woche kommt das Urteil: Abgelehnt. Schulpflicht bleibt.
Es war schließlich schon immer so.
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Benjamin Kiesewetter
Langenscheidtstr. 12
10827 Berlin
Robert-Blum-Schule
Schulleitung
Herrn Kraschewski
Kolonnenstr. 22-23
10829 Berlin
28. Februar 1996
Teilnahme am Chemieunterricht im 2. Halbjahr der 10.Klasse
Sehr geehrter Herr Kraschewski!
Ich habe beschlossen, im laufenden 2. Schulhalbjahr 95/96 den
Chemieunterricht nicht mehr zu besuchen.
Meine erziehungsberechtigte Mutter Dagmar Kiesewetter ist mit dieser
Entscheidung einverstanden und übernimmt in den entsprechenden
Freistunden die volle Verantwortung.
Da ich meine Unterrichtsverweigerung wie folgt begründe, beantrage
ich, im Fach Chemie zukünftig nicht mehr benotet zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Kiesewetter, Dagmar Kiesewetter
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Kleine Anfrage an den Senat
Ende November letzten Jahres reichte die Abgeordnete und ehemalige Berliner
Schulsenatorin Sybille Volkholz im Abgeordnetenhaus eine kleine Anfrage
ein.Eine der vier Fragen, die der Senat beantworten sollte, war: "Hält
der Senat es für pädagogisch angemessen, wenn Zweifel am Sinn
eines Unterrichtsfaches (z.B. Chemie) mit Ordnungsmaßnahmen beantwortet
werden?" Hier nun Auszüge aus der Antwort:
"Die Schule hat sich ... zunächst über einen längeren
Zeitraum vergeblich bemüht, den Schüler mit pädagogischen
Mitteln zu einsichtigem, die Regeln beachtenden Verhalten anzuhalten.
Nachdem pädagogische Einwirkungsversuche vergeblich waren, hat
das Landesschulamt eine Ordnungsmaßnahme verhängt.
Der Senat hält die getroffene Entscheidung für vertretbar,
weil es sich um ein längerfristiges Fehlverhalten handelte und nicht
hingenommen werden konnte, daß der betreffende Schüler die ordnungsgemäße
Unterrichts- und Erziehungsarbeit und den Schulbetrieb in Hinblick auf
die Schulgemeinschaft permanent beinträchtigt."
Ingrid Stahmer, 27. Januar 1997
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Inhaltliche Begründung der Chemie-Verweigerung
Bevor Benjamin dem Chemieunterricht für fast acht Monate fernblieb,
machte er eine Umfrage bei 20 Lehrern seiner Schule, die nicht Chemie unterrichten.
Er stellte ihnen vier Fragen, die ihm in der Zeit davor zur Beantwortung
aufgetragen worden waren. "Wie heißt die allgemeine Summenformel
der Alkane? Erklären Sie den Ablauf der Beilsteinprobe und geben Sie
an, was sie nachweist!" waren zwei dieser Fragen. 95% der Lehrer konnten
keine der vier Fragen richtig beantworten, 65% der Befragten waren außerdem
der Meinung, daß sie dieses Wissen "in ihrem Beruf und Alltag" auch
nicht benötigen, 70% allerdings hielten es für nötig "daß
Schüler gezwungen werden, dieses Wissen zu lernen".
In seinem ausführlichen Begründungsschreiben, auf das bis
zur Gerichtverhandlung vom 14. Februar von Seiten der Schule der Verwaltung
nicht inhaltlich eingegangen wurde, heißt es: "Fakt jedenfalls ist,
daß die befragten Lehrer über genau das, was ich lernen muß,
überhaupt keine Ahnung haben. Eine Emnid-Umfrage im Auftrag des Spiegel
besagt, daß 59% der Westdeutschen noch nicht einmal die Formel für
Kohlendioxid kennen (Spiegel 7/95, Seite 192). Das Fazit dieser Fakten
ist: Trotzdem es die Schule gibt, die die Schüler zwingt, chemische
Formeln u.ä. zu lernen, wissen die Menschen kurz nach diesem Vorgang
kaum mehr etwas davon." Weiter schreibt er: "M. E. kann Wissensvermittlung
gar nicht effektiv sein, wenn Schüler sich nicht für den Stoff
interessieren. Ich sehe allein deshalb nicht ein, warum ich mich noch weiterhin
mit Chemie herumquälen soll, wenn es jetzt schon absehbar ist, daß
auch ich später nichts mehr davon wissen werde. Ich habe relativ klare
Vorstellungen davon, was ich später machen möchte und ich bin
mir ziemlich sicher, daß das relativ wenig mit Chemie zu tun hat.
Falls doch wider Erwarten der Fall eintreten sollte, daß ich etwas
davon brauche, wird es nicht das Problem sein, es nachzulernen."
In Punkt 2 erklärt er, daß der Chemieunterricht seine Zeit
und Kraft verschwende. "Da ich diese Zeit dazu nutzen könnte, etwas
anderes zu lernen, was mir mehr Spaß macht, was mich mehr interessiert
und ich damit auch besser für mein Leben gebrauchen könnte, stellt
der Chemieunterricht für mich eine Lernbehinderung dar. [...] Ich
werde ... nicht nur gezwungen, körperlich anwesend zu sein, sondern
soll mich auch noch geistig mit dem Thema befassen, Formeln und chemische
Zusammenhänge auswendig lernen, die für mich völlig belanglos
sind und mich nicht im geringsten interessieren." Er stellt fest: "Mit
der Weigerung, am Chemieunterricht noch weiterhin teilzunehmen, verringere
ich den Anteil von fremdbestimmter Lebenszeit."
Der dritte Abschnitt dreht sich um die gesundheits- und entwicklungsschädigenden
Unterrichts- und Lernbedingungen. Er werde von seiner Chemielehrerin Frau
P. einem enormen Druck ausgesetzt. In vielen Fällen sollen Schüler
zu Hause das nacharbeiten "was Frau P. im Unterricht schlecht erklärt
hat". "Nachdem ich im Unterricht eine falsche Antwort gab, mußte
ich mir von Frau P. anhören, ich lebte 'hinter dem Mond'. Dergleichen
einem Lehrer vorzuwerfen, der die im Unterricht üblichen Fragen nicht
beantworten konnte, käme einer Beleidigung gleich.
Diese im Chemieunterricht herrschenden Lernbedingungen lösen Streß
und Angst aus. Es wurde längst nachgewiesen, daß dies die Gesundheit
von Schülern gefährden kann. Deshalb weigere ich mich, mich ihnen
weiterhin auszusetzen."
In 4. geht es um Erkenntnisse aus Lernbiologie und Psychologie (die)
zeigen, welchen Schaden unfreiwilliges Lernen anrichten kann".
"Wenn ich mich später doch noch für einen Chemieberuf entscheiden
sollte, werde ich kaum darunter leiden, daß ich ab jetzt nicht mehr
am Chemieunterricht teilnehme. Ich bin mir umgekehrt jedoch sicher, daß
die Wahrscheinlichkeit, daß ich mich jemals für Chemie interessieren
werde, mit jeder Chemiestunde, in die ich hineingezwungen werde, kleiner
wird. [...] Da ich im Chemieunterricht nur gegen meinen Willen lerne, speichert
mein Gehirn nämlich nicht nur das gelernte Wissen, sondern auch gleichzeitig
das 'ungute Gefühl' dabei. Ich werde mich also immer nicht nur an
das Wissen erinnern, sondern auch an das Gefühl, dazu gezwungen worden
zu sein. Somit wird es für mich in Zukunft immer schwerer sein, mit
der Chemie irgend etwas Positives zu verbinden."
Benjamin führt auch Frederic Vesters Fernsehserie Denken, Lernen,
Vergessen aus dem Jahr 1973 an, in der demonstriert wird, daß die
Schule das Lernen geradezu verhindert, die Lernfähigkeit buchstäblich
'tötet'. Darauf kommt Vester, weil der Lernzwang 'ganz spezifische
Dauerblockaden erzeugt, die entweder mit bestimmten Themen verknüpft
oder gar auf das Lernen als solches gerichtet sind - das Denken setzt aus,
sobald irgend etwas als Lernen empfunden wird'."
Dem fügt Benjamin Kiesewetter hinzu: "Ich halte mich eigentlich
für einen wißbegierigen, lernfähigen und lernfreudigen
Schüler. [...] Ich möchte unbedingt verhindern, daß mir
meine Lernfähigkeit und Lernfreude kaputtgemacht wird, obwohl ich
mehr und mehr sehe, daß ich auf dem besten Weg dahin bin. Es ist
zum Beispiel der Chemieunterricht, der in mir Haß- und Verzweiflungsgefühle
hochkommen läßt. Ich glaube fest daran, daß das nicht
sein muß."
Im fünften Punkt seiner Begründung kann man lesen, das er
den Chemiestoff nicht für das Abitur braucht, da er das Fach Chemie
nach der 11. Klasse ohnehin abwählen kann. Außerdem schreibt
er: Es ist für mich auch keine Alternative von der Schule zu gehen
und z.B. mein Abitur nicht zu machen (abgesehen davon, daß ich noch
schulpflichtig bin).
'Die Schule will kein Wissen für das Leben vermitteln, sondern
ihren Schülern den Zugang zu qualifizierten, gutbezahlten Berufen
so schwer wie eben möglich zu machen (...) Wer es schafft, trotz dieser
Hindernisse das Abi-Zeugnis als Eintrittskarte zur Uni zu bekommen, hat
bewiesen, daß er auch den größten Blödsinn gehorsam
frißt, wenn es von ihm verlangt wird.' ("Lehrer Ärger Dich",
Seite 20) [...] Meine Weigerung, am Chemieunterricht noch weiter teilzunehmen,
ist der Versuch, die Eintrittskarte zu bekommen ohne zu verblöden."
Im sechsten Abschnitt seines Begründungstextes zitiert Benjamin
Kiesewetter den Kinderrechtler John Holt der bereits 1974 über das
"Recht, sein Lernen selbst zu bestimmen" schrieb: "Wenn wir jemandem sein
Recht nehmen, selbst zu bestimmen, worüber er neugierig sein wird,
zerstören wir seine Gedankenfreiheit. Letztenendes sagen wir ihm damit:
du darfst nicht über das nachdenken, was dich interessiert und betrifft,
sondern nur über das, was uns interessiert und betrifft".
"Es gibt also nicht nur Erkenntnisse, daß ich das Wissen, was
ich im Chemieunterricht lerne, nicht brauche. Es gibt nicht nur medizinische
Erkenntnisse, daß diese Schule meiner Gesundheit schadet. Es gibt
nicht nur Erkenntnisse von Psychologen und Gehirnforschern, daß dieses
unfreiwillige Lernen meine Lernfähigkeit zerstören könnte.
Sondern das alles behindere auch noch meine 'freie Entfaltung' und sei
somit nach Meinung von ernstzunehmenden Juristen sogar verfassungswidrig.
Und jetzt soll ich das Pech haben, fünf Jahre zu früh dagewesen
zu sein, bis dieser Verfassungswidrigkeit endlich Abhilfe geschaffen wird?
Die Tatsache, daß ich zum Chemieunterricht gezwungen werde, verstößt
nicht nur gegen mehrere Artikel im Grundgesetz (Die Würde des Menschen
ist unantastbar, Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, Pflege und Erziehung sind das
natürliche Recht der Eltern [...], Alle Deutschen genießen Freizügigkeit
[...], Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden [...],
etc.), sondern auch gegen §1 des Berliner Schulgesetzes, in dem festgelegt
ist: 'Aufgabe der Schule ist es, alle wertvollen Anlagen der Kinder und
Jugendlichen zur vollen Entfaltung zu bringen (...).'"
Martin Wilke
nach oben
Juristische Begründung
Mit der Klage vom 23. Oktober 1996, die am 14. Februar 1997 verhandelt
wurde, wollte der Kläger Benjamin Kiesewetter erreichen, daß
sein Fehlen rückwirkend als entschuldigt gilt und daß er im
laufenden Schuljahr befreit wird.
Die Beklagtenseite, also das Landesschulamt, ist der Ansicht, daß
sich aus §12 Schulgesetz und §28 Schulverfassungsgesetz "die
Verpflichtung, am verbindlichen Unterricht ... teilzunehmen" ergebe. Eine
Schulverweigerung gelte als unentschuldigtes Fehlen.
"Daß die Schulpflicht als solche einer gesetzlichen Grundlage
bedarf, ist unstreitig. Streitig ist jedoch, ob und inwieweit auch die
im Unterricht vermittelten Bildungsinhalte und damit der Fächerkanon
einer gesetzlichen Grundlage bedarf." heißt es in der Klageschrift.
Weiter schreibt Rechtsanwalt Brückner "Es kann bezweifelt werden,
ob der staatliche Bildungsauftrag gerade auch im Bereich des Chemieunterrichts
durch gewichtige Interessen des Allgemeinwohls begründet ist. [...]
Aus den in der Begründung vom 28. Februar 1996 angegebenen Gründen
würde eine Anwesenheit im Chemieunterricht zu einer sinnentleerenden
physischen Präsenz reduziert werden. Dies kann gerade dem Bildungsauftrag
nicht entsprechen. Vielmehr würde in dieser Situation der Schüler
zu einem Objekt der staatlichen Bildungsmacht werden".
"Nach herkömmlichem Verständnis wird davon ausgegangen, daß
der ... Bildungs- und Erziehungsauftrag ... nicht nur die organisatorische
Gliederung der Schulen umfaßt, sondern auch die inhaltliche Festlegung
... der Unterrichtsziele". Brückner beruft sich auch auf Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichtes und geht davon aus, daß sich auch
nicht "aus Gewohnheitsrecht herleiten läßt, daß die Schulverwaltung
ohne gesetzliche Grundlage zur Regelung des Schulwesens befugt ist." Dies
wurde bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall
aber gerade getan. Es war eben schon immer so!
"Im Lande Berlin ist eine gesetzliche Regelung derjenigen Fächer,
die im einzelnen zu unterrichten sind, nicht erfolgt. Auswahl und Festlegung
der Unterrichtsfächer gehört zu den Grundentscheidungen im Schulbereich,
die einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Nach der neueren Rechtsprechung
zum Vorbehalt des Gesetzes ist davon auszugehen, daß eine parlamentarische
Bestimmung der Bildungs- und Unterrichtsziele zu erfolgen hat. [...]
Die Schulpflicht - und daraus folgend die Unterrichtspflicht - stellt
eine Einschränkung von Grundrechten dar mit der Folge, daß dies
nur durch Gesetz oder Grundlagen des Gesetzes erfolgen kann. Da die Einführung
des Chemie-Unterrichts in Berlin weder durch Gesetz noch aufgrund eines
hinreichend bestimmten Gesetzes erfolgt ist, kann hieraus eine Teilnahmepflicht
an dem konkreten Unterrichtsfach nicht abgeleitet werden."
nach oben
Auszüge aus einem Kommentar von K.R.Ä.T.Z.Ä.
Benjamin Kiesewetter hat bis heute keinen einzigen Grund gehört, warum
er am Chemieunterricht teilnehmen soll. Er soll nicht deswegen wieder teilnehmen,
weil es vernünftig ist, sondern weil es von oben angeordnet ist. Die
schlagenden Argumente der Lehrer waren bisher: "Das war schon immer so",
"So was geht einfach nicht", "Wenn das alle machen würden", "Wo kämen
wir denn da hin?".
Kurt Marti sagt: "Wo kämen wir hin, wenn alle sagten: Wo kämen
wir hin? und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme,
wenn man ginge."
Das Schlimmste: Benjamin fliegt nicht trotz seiner Begründung von
der Schule, sondern wegen ihr.
Rechtfertigungen von Lehrern und anderen Verantwortlichen laufen immer
darauf hinaus, daß man eigentlich gar nicht anders hätte verfahren
dürfen. Schüler werden aber normalerweise nur dann von der Schule
geschmissen, wenn sie Gewaltverbrechen begehen oder fast gar nicht mehr
zum Unterricht erscheinen. [...] Die 4 Gegenstimmen zeigen immerhin, daß
in Wirklichkeit niemand dazu gezwungen war, den Ausschluß zu empfehlen.
Bezeichnend ist auch die Begründung für den Rausschmiß:
Es könne schließlich nicht sichergestellt werden, daß
die empörten Lehrer Benjamin in Zukunft unbefangen unterrichten und
benoten. Die Umschulung geschehe deswegen aus gegenseitigem Interesse",
so die Stellungnahme des Vermittlungsausschusses. Infamer läßt
sich die Verdrehung der Tatsachen nicht ausdrücken.
Die Schule ist in dieser Zeit heftig in der Diskussion, weil im Grunde
genommen weder Lehrer noch Schüler, aber auch die sonstige Gesellschaft
nicht mit ihr zufrieden sind. Damit Institutionen sich ändern, muß
es immer Anstöße von unten geben.
nach oben
Die ausführliche Dokumentation gibt's
unter http://kraetzae.de/schule/unterrichtsverweigerung/
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