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Ausgabe 20

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Buchrezension: "Was ist antipädagogische Aufklärung?"
von Ekkehard von Braunmühl
Wenn eine Patience aufgeht, freut man sich darüber. Dies ist bei
Jostein Gaarders "Kartengeheimnis" geschehen und macht es zu
einem höchstinteressanten, spannenden Roman. Die Lüftung des
Kartengeheimnisses von Dr. Hubertus von Schönebeck ist nicht minder
spannend und interessant. Seine Karten sind gezinkt und beim Betrachten
der Rückseite bleibt einem die Freude über das geniale Auflösen
seines Kartengeheimnisses, das von Braunmühl in seinem neuen Buch
vorführt, im Halse stecken.
Antipädagogik war 1975 ein Buch - eine Gegentheorie zu der Behauptung,
man müsse Kinder erziehen. Sie war eine Analyse der pädagogischen
Einstellung, die von Mißtrauen, Besserwisserei und letztlich Menschenfeindlichkeit
geprägt war (und ist). Sie war eine Forderung, Kinder als gleichberechtigte
Menschen zu akzeptieren, die nicht verbessert, bekehrt, erzogen werden
müssen, sondern denen man Respekt, Vertrauen, Toleranz und Unterstützung
bieten sollte.
Und die seriöse Antipädagogik hat sich weiterentwickelt, hat
sich an Eltern gewandt, um ihnen beim "Ablegen des Erziehungsanspruchs"
zu helfen ("Zeit für Kinder", 1978), hat sich von ihrem
bissigen Stil verabschiedet, wurde zu einer antipädagogischen Aufklärung
- zwischenzeitlich zu einer Antipsychopädagogik ("Zur Vernunft
kommen", 1990) -, wurde eigentlich immer besser, differenzierter und
seelenfreundlicher - gerade auch für Erzieher. Und schließlich
wurde sie immer bedeutungsloser in der Öffentlichkeit. 1997 schreibt
von Braunmühl: "Viele Leute sagen: >Antipädagogik? Kannst
du vergessen!< Und ich verstehe sie gut."
Parallel zu der Entwicklung der seriösen Antipädagogik entstand
der "Förderkreis Freundschaft mit Kindern e.V." unter Leitung
von Dr. von Schönebeck, der sich den Begriff Antipädagogik zu
eigen und durch zahlreiche Vorträge und Seminare auf sich aufmerksam
gemacht hatte. Der Verein verstand aber unter Antipädagogik weit mehr
als nur eine Absage an die Pädagogik - eher vertrat er eine neue "Lebensphilosophie",
nach der es keine Wahrheit mehr gibt und man keine Fehler machen kann,
alles Existierende nur dann existiert, wenn es jemand subjektiv so empfindet,
wonach z.B. Gewalt gar nicht oder nur dann existiert, wenn es jemand so
empfindet und derjenige, der es empfindet ist dafür auch noch veranwortlich,
weil schließlich er es so empfindet. Außerdem seien alle Menschen
immer für sich "selbstverantwortlich", ein Begriff, mit
dem v. Schönebeck den Unterschied zwischen den Motiven und den Taten
verwischt, wegzaubert.
Manche dieser Positionen werden in manchen Philosophenkreisen (z.B. bei
den "Radikalen Konstruktivisten") ernsthaft diskutiert. Denkt
man aber zu Ende - und das führt uns von Braunmühls kritischer
Verstand auf geniale Weise vor - fällt das Kartenhaus zusammen: Dann
stimmen plötzlich die Gleichungen Selbstverantwortung = Verantwortungslosigkeit,
Subjektivität = geistige Verwahrlosung, Achtung vor der inneren Welt
= Ignoranz gegenüber der Freiheit der anderen, Sozialität = asozialer
Narzißmus. Aber unabhängig vom Streit der Philosophen, muß
man von Braunmühl mindestens in einem rechtgeben: daß hier seit
Jahren unter dem Namen der Antipädagogik etwas debattiert wurde, was
da nicht hereingehört und was ihrem ursprünglichen Ansatz womöglich
sehr geschadet hat.
Das neue Buch von Ekkehard von Braunmühl befaßt sich mit
spannenden philosophischen Fragen und entschlüsselt ein Kartengeheimnis.
Außerdem und vor allem bietet es für alle interessierten Menschen
weitere gute und ernsthafte Argumente für die Abschaffung der Erziehung.
Jeder, der dieses Buch gelesen hat, wird einsehen müssen, daß
antipädagogische Aufklärung eine hochseriöse, mindestens
aber ernstzunehmende, eine notwendige, wichtige, zumindest aber eine im
Grunde richtig gedachte Angelegenheit ist. Das Buch kostet nur 16 DM, hat
knapp 150 Seiten und ist im Buchhandel erhältlich.
Wir werden im nächsten Regenbogen vielleicht noch etwas näher
auf die angesprochenen inhaltlichen Auseinandersetzungen eingehen.
Benjamin Kiesewetter
Erhältlich im Buchhandel:
Ekkehard von Braunmühl: Was ist antipädagogische Aufklärung?
Mißverständnisse, Mißbräuche, Mißerfolge der
radikalen Erziehungskritik, KID-Verlag,
Bonn 1997, 16 DM.
Ekkehard von Braunmühl: Antipädagogik - Studien zur Abschaffung
der Erziehung, Beltz Verlag, Weinheim 1975, 8. Auflage 1993
Ekkehard von Braunmühl: Zeit für Kinder, Theorie und Praxis
von Kinderfeindlichkeit, Kinderfreundlichkeit und Kinderschutz, Fischer
Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M., 1978, 16. Auflage 1995
Zu bestellen bei Annette Böhm, Hülchrather Str. 3, 50670
Köln:
A) Ekkehard von Braunmühl: Zur Vernunft kommen - Eine Anti- Psychopädagogik
(ursprünglich Beltz Verlag, Weinheim 1990)
B) Annette Böhm und Ekkehard von Braunmühl: Liebe ohne Hiebe
- Der Weg zur harmonischen Familienbeziehung (ursprünglich Patmos
Verlag, Düsseldorf, 1993)
C) Annette Böhm und Ekkehard von Braunmühl: Gleichberechtigung
im Kinderzimmer - Der vergessene Schritt zum Frieden (ursprünglich
Patmos- Verlag, Düsseldorf 1994)
(A= 23,- , B= 20,- , C= 20,- A&B oder B&C= 38,- B&C=
30,- ,A&B&C= 53,-)
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