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Ausgabe 12
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DER KINDERGIPFEL 93
"Es war einmal ein Mann, der baute im 'Tal der Rosen' eine Stadt
nur für Kinder. Dort gab es weder Betonbauten noch asphaltierte Straßen.
Autos waren verboten, und statt in Häusern wohnten die Kinder in großen
gemütlichen Zelten. So waren sie immer zusammen und brauchten sich
zum Spielen nicht mehr verabredet. Erwachsene hatten im 'Tal der Rosen'
nur etwas zu sagen, wenn sie gefragt wurden. Besonders bei einem Problem
drängten die Kinder auf Antwort: Wann gehen Erwachsene endlich rücksichtsvoller
mit den Tieren und mit unserer Erde um? Wer regelmäßig Nachrichten
verfolgt und natur liest, weiß längst: Hier wird kein
Märchen erzählt. sondern vom natur-Kindergipfel berichtet."
(Aus: natur 10/93)
Wer dabei war, hat schon längst gelacht; was der Organisator des
KiGis, die Zeitschrift natur, hier schreibt, entspricht leider überhaupt
nicht der Wahrheit. Die Widersprüche werden in diesem Bericht geklärt.
Angefangen hat das Spektakel am Donnerstag, den 23. September am frühen
Abend mit einer Show. Zuerst afrikanische Trommelmusik und dann Erwachsenengefasel.
Die Sponsoren, wie z.B. AEG oder Neckermann, hatten schon mehrere Male
betont, wie umweItfreundlich sie doch seien. Doch irgendwann war die Geduld
am Ende. Einige Mitglieder der Berliner Gruppe "K.R.Ä.T.Z.Ä."
(KinderRÄchTsZÄnker) gingen zum Mikrophon und fragten: "Merkt
ihr eigentlich gar nicht, daß das hier keinen interessiert?" Daraufhin
wurde die Veranstaltung abgebrochen und es ging zum vegetarisch-schwäbischem
Essen.
Der Kindergipfel fand in Stuttgart auf der Internationalen Gartenbau
Ausstellung IGA statt. Diese mit einem "Tal der Rosen" zu vergleichen ist
nicht objektiv. Die IGA kostet die Stadt mehrere Millionen DM. Allein die
riesige "Panoramabahn", die um das gesamte Gelände führt, kostet
die Stadt eine Summe von 50 Mio. DM. Da die Bahn jetzt wieder abgebaut
wird, muß man noch mal fünf Mio, dazurechnen. Damit die IGA
überhaupt bezahlt werden konnte, mußte die Stadt mehrere Jugendprojekte
streichen...
Am darauffolgenden Freitag traf man sich in Jurten, von Kindern selbstgebaute
Zelte, zu den Arbeitskreisen
- Ozon
- Fremdes zulassen
- Wasser - von der Quelle bis zum Meer
- Handel mit Tieren
- Kaufrausch im Regenwald
- Tiere in der Stadt
- Nutztiere
- Energie
- Kinder haben Rechte (schön wär's)
- Presse, Rundfunk, Fernsehen
Während die AG "Presse" eine Seite für das "Stuttgarter Sonntagsblatt"
schrieb, diskutierte die AG Kinderrechte über gesetzliches Mitspracherecht,
Klagemöglichkeit und eine "andere Schule". Sechs Kinder verließen
diese AG allerdings vorzeitig, weil ihre Forderung, die Schulpflicht durch
die Bildungspflicht zu ersetzen, als "zu radikal" abgestempelt wurde.
In der AG "Regenwald" erzählte der ehemalige Bundesumweltminister
von Brasilien José Lutzenberger von seinem Kampf, den Regenwald
zu erhalten. In einer Tiergruppe war die Primatenforscherin Jane Goodall
zu Gast, die von ihrer Arbeit in Afrika bei den Schimpansen erzählte.
(Im nächsten Regenbogen bringen wir ein Interview mit ihr). Am Abend
gab es eine Fete in einem der beiden Jugendhäusern, in dem die auswärtigen
Gruppen schliefen.
Am Samstag ging's dann richtig los, mit den Widersprüchen.
Zuerst fing der "Markt der Möglichkeiten" an, bzw. nicht, weil es
nämlich in Strömen regnete. Die AGs gingen weiter und Experten
kamen dazu. In einem Zelt, das "Saftladen" genannt wurde, diskutierten
Kinder mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft.
In der Arche Noah, die Monate zuvor mit Kindern aus Stuttgart gebaut wurde,
wurden Filme von Heinz Sielmann und Jaques-Yves Cousteau gezeigt, die beide
ebenfalls zu Gast waren. Als es dann wieder etwas trockener wurde, waren
doch noch Stände zu sehen. Während ein Riesenlaster von n-tv
den Kindern die Sicht versperrte, fuhr lngo Dubinski, der nachher die Show
moderieren sollte, mit seinem tollen BMW mitten durch den Markt. ("Dort
gab es weder Betonbauten noch asphaltierte Straßen. Autos waren
verboten... ")
Die Stuttgarter Kinderkomission, die eigentlich dazu bestimmt war,
den KiGi mitzuorganisieren und darauf zu achten, daß nicht zuviel
von Erwachsenen bestimmt würde, fühlte sich hintergangen: Als
sie einen Organisator, W. Simon, auf verschiedene Fehler hinwiesen, re(a)GIERte
er genervt. Er gab den Kindern zu verstehen, daß sie hier nichts
zu sagen hätten. ("Erwachsene hatten im 'Tal der Rosen' nur etwas
zu sagen, wenn sie gefragt wurden.") Als es darum ging, wer Kindergipfelpräsident
werden würde, bestimmten wieder erwachsene Organisatoren, daß
dieser nicht gewählt, sondern gelost werden sollte. (Obwohl sich eigentlich
alle Kinder dagegen aussprachen) Schließlich wurde ein Mädchen
gelost, das mehr oder weniger zufällig auf dem KiGi gelandet ist.
Sie war weder auf einem Vorgipfel aktiv (was eigentlich Grundvoraussetzung
fürs eigentliche Mitfahren war), noch hatte man den Eindruck, daß
sie sich für Kinderrechte, Umweltschutz etc. interessierte, geschweige
denn engagiert war. Sie hatte bloß Kontakte zur Zeitschrift natur,
deshalb durfte sie mitfahren.
Zum Abendbrot gab es schön verpackte Schokolade, in Plastik gewickelte
Brötchen und ganz besonders tolle Tetra-Packs. Das sollte noch
Folgen haben...
Jetzt ging es zur großen Show in der Freilichtbühne. Ingo
Dubinski stellte zuerst ein paar Musikgruppen vor, danach sollte es zur
Unterzeichnung des Generationenvertrages kommen. Doch zuerst kamen zwei
Jugendliche und legten eine Menge Tetra-Packs auf die Bühne. Vereinzelte
Klatscher, doch die Show wurde einfach fortgesetzt.
Später kamen dann die Vertreter der AGs auf die Bühne und
lasen ihre Forderungen und Selbstverpflichtungen von den zuvor geschriebenen
Tafeln vor. Die Energiegruppe z.B. forderte, mehr Energiesparlampen
zu benutzen. Eine Jugendliche meinte: "Wenn man hier bei so einer großen
Veranstaltung eine Gelegenheit hat, echt mal was Wichtiges zu sagen, kann
man doch nicht Energiesparlampen fordern, das wird die Klimakatastrophe
auch nicht verhindern!"
Die Politiker, Experten und einige Journalisten unterschrieben den
Vertrag. Danach wurde das Theaterstück 3991 (umgedreht 1993) aufgeführt.
Doch die Kinder aus anderen Städten, die bei dieser AG mitmachen wollten,
waren nicht begeistert: "Das Theaterstück war schon eingespielt, das
machten die Stuttgarter. Wir durften nur hinter so 'ner bescheuerten Wand
stehen und zum Schluß heraustreten und 'Wir sind eine Welt' singen!"
Am Sonntag, dem letzten Tag des Kigis, wurde der Markt der Möglichkeiten
fortgesetzt. Auf der SDR-Bühne konnte man Töpfer und Lutzenberger
Fragen stellen. Und - man glaubt es kaum - zum Mittagessen gab es
doch tatsächlich Müllermilch in Plastikbechern.
Am Nachmittag, bei der Abschlußfeier durfte Töpfer sich
noch mal die Forderungen der AGs anschauen, bis er sich entschloß,
die Energiesparlampenforderung zu unterschreiben. "Was möchten sie,
den umweltfreundlichen oder umweltfeindlichen Stift?" fragt die Moderatorin.
Töpfer entscheidet sich schließlich für den umweltfeindlichen,
dreht sich schnell um, unterstreicht das Wort "Energiesparlampe" und unterschreibt.
Einige Minuten später guckte er ein wenig genervt drein, denn
ca. 20 Kinder "besetzten" die Bühne und schütteten säckeweise
Müllermilchverpackungen auf den Boden und verdeckten die fröhlich
weiterplaudernde Moderatorin, mit der umbemalten "Wir sind eine Welt"-Fahne
in "Wir haben nur eine Weit". Später erklärten einige von ihnen:
"Wir finden das ja ganz doll hier, aber es sind halt einige Schönheitsfehler
unterlaufen..." Andere wurden schon konkreter: "Mitbestimmung beim Lehrplan
reicht uns nicht, wir wollen die Abschaffung der Schulpflicht!" Als Krönung
der ganzen Veranstaltung beichteten die Organisatoren noch was zum Schluß.
Der Reiseproviant bestände wieder aus Tetra-Packs, Bifi-Wurst und
in Alu gewickelte Kekse. Man könne es ja an die Leute der Mensa zurückschicken
... Der nächste Kindergipfel soll höchstwahrscheinlich 1995 in
Berlin-Köpenick im Freizeit- und ErholungsZentrum
Wuhlheide stattfinden. "Was soll's meckern, machen wir's besser!" kommt
von Seiten der Berliner.
Benni
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