KinderRächtsZeitung Regenbogen
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Ausgabe 12

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Summerhill - Interview "Um 23.30 kommen die Beddie-Officers"
Adolf Hitler - Ein Bericht über das Leben des Diktators / Teil 1
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Parlament der Kinder
BravSo - Bravo-Überschriften zusammengeschnippelt von Benni
Tiersafari
Der Kindergipfel 93
Der Traum ist aus!? - Nolympia!
Interview mit Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD)
Buchtip: Der Schlund
Jetzt reicht's!
Weihnaxeit

Cover Ausgabe 12
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DER KINDERGIPFEL 93

"Es war einmal ein Mann, der baute im 'Tal der Rosen' eine Stadt nur für Kinder. Dort gab es weder Betonbauten noch asphaltierte Straßen. Autos waren verboten, und statt in Häusern wohnten die Kinder in großen gemütlichen Zelten. So waren sie immer zusammen und brauchten sich zum Spielen nicht mehr verabredet. Erwachsene hatten im 'Tal der Rosen' nur etwas zu sagen, wenn sie gefragt wurden. Besonders bei einem Problem drängten die Kinder auf Antwort: Wann gehen Erwachsene endlich rücksichtsvoller mit den Tieren und mit unserer Erde um? Wer regelmäßig Nachrichten verfolgt und natur liest, weiß längst: Hier wird kein Märchen erzählt. sondern vom natur-Kindergipfel berichtet." (Aus: natur 10/93)

Wer dabei war, hat schon längst gelacht; was der Organisator des KiGis, die Zeitschrift natur, hier schreibt, entspricht leider überhaupt nicht der Wahrheit. Die Widersprüche werden in diesem Bericht geklärt.

Angefangen hat das Spektakel am Donnerstag, den 23. September am frühen Abend mit einer Show. Zuerst afrikanische Trommelmusik und dann Erwachsenengefasel. Die Sponsoren, wie z.B. AEG oder Neckermann, hatten schon mehrere Male betont, wie umweItfreundlich sie doch seien. Doch irgendwann war die Geduld am Ende. Einige Mitglieder der Berliner Gruppe "K.R.Ä.T.Z.Ä." (KinderRÄchTsZÄnker) gingen zum Mikrophon und fragten: "Merkt ihr eigentlich gar nicht, daß das hier keinen interessiert?" Daraufhin wurde die Veranstaltung abgebrochen und es ging zum vegetarisch-schwäbischem Essen.

Der Kindergipfel fand in Stuttgart auf der Internationalen Gartenbau Ausstellung IGA statt. Diese mit einem "Tal der Rosen" zu vergleichen ist nicht objektiv. Die IGA kostet die Stadt mehrere Millionen DM. Allein die riesige "Panoramabahn", die um das gesamte Gelände führt, kostet die Stadt eine Summe von 50 Mio. DM. Da die Bahn jetzt wieder abgebaut wird, muß man noch mal fünf Mio, dazurechnen. Damit die IGA überhaupt bezahlt werden konnte, mußte die Stadt mehrere Jugendprojekte streichen...

Am darauffolgenden Freitag traf man sich in Jurten, von Kindern selbstgebaute Zelte, zu den Arbeitskreisen
- Ozon
- Fremdes zulassen
- Wasser - von der Quelle bis zum Meer
- Handel mit Tieren
- Kaufrausch im Regenwald
- Tiere in der Stadt
- Nutztiere
- Energie
- Kinder haben Rechte (schön wär's)
- Presse, Rundfunk, Fernsehen

Während die AG "Presse" eine Seite für das "Stuttgarter Sonntagsblatt" schrieb, diskutierte die AG Kinderrechte über gesetzliches Mitspracherecht, Klagemöglichkeit und eine "andere Schule". Sechs Kinder verließen diese AG allerdings vorzeitig, weil ihre Forderung, die Schulpflicht durch die Bildungspflicht zu ersetzen, als "zu radikal" abgestempelt wurde.

In der AG "Regenwald" erzählte der ehemalige Bundesumweltminister von Brasilien José Lutzenberger von seinem Kampf, den Regenwald zu erhalten. In einer Tiergruppe war die Primatenforscherin Jane Goodall zu Gast, die von ihrer Arbeit in Afrika bei den Schimpansen erzählte. (Im nächsten Regenbogen bringen wir ein Interview mit ihr). Am Abend gab es eine Fete in einem der beiden Jugendhäusern, in dem die auswärtigen Gruppen schliefen.

Am Samstag ging's dann richtig los, mit den Widersprüchen.  Zuerst fing der "Markt der Möglichkeiten" an, bzw. nicht, weil es nämlich in Strömen regnete. Die AGs gingen weiter und Experten kamen dazu. In einem Zelt, das "Saftladen" genannt wurde, diskutierten Kinder mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft.  In der Arche Noah, die Monate zuvor mit Kindern aus Stuttgart gebaut wurde, wurden Filme von Heinz Sielmann und Jaques-Yves Cousteau gezeigt, die beide ebenfalls zu Gast waren. Als es dann wieder etwas trockener wurde, waren doch noch Stände zu sehen. Während ein Riesenlaster von n-tv den Kindern die Sicht versperrte, fuhr lngo Dubinski, der nachher die Show moderieren sollte, mit seinem tollen BMW mitten durch den Markt. ("Dort gab es weder Betonbauten noch asphaltierte Straßen.  Autos waren verboten... ")

Die Stuttgarter Kinderkomission, die eigentlich dazu bestimmt war, den KiGi mitzuorganisieren und darauf zu achten, daß nicht zuviel von Erwachsenen bestimmt würde, fühlte sich hintergangen: Als sie einen Organisator, W. Simon, auf verschiedene Fehler hinwiesen, re(a)GIERte er genervt. Er gab den Kindern zu verstehen, daß sie hier nichts zu sagen hätten. ("Erwachsene hatten im 'Tal der Rosen' nur etwas zu sagen, wenn sie gefragt wurden.") Als es darum ging, wer Kindergipfelpräsident werden würde, bestimmten wieder erwachsene Organisatoren, daß dieser nicht gewählt, sondern gelost werden sollte. (Obwohl sich eigentlich alle Kinder dagegen aussprachen) Schließlich wurde ein Mädchen gelost, das mehr oder weniger zufällig auf dem KiGi gelandet ist. Sie war weder auf einem Vorgipfel aktiv (was eigentlich Grundvoraussetzung fürs eigentliche Mitfahren war), noch hatte man den Eindruck, daß sie sich für Kinderrechte, Umweltschutz etc. interessierte, geschweige denn engagiert war. Sie hatte bloß Kontakte zur Zeitschrift natur, deshalb durfte sie mitfahren.

Zum Abendbrot gab es schön verpackte Schokolade, in Plastik gewickelte Brötchen und ganz besonders tolle Tetra-Packs.  Das sollte noch Folgen haben...

Jetzt ging es zur großen Show in der Freilichtbühne. Ingo Dubinski stellte zuerst ein paar Musikgruppen vor, danach sollte es zur Unterzeichnung des Generationenvertrages kommen. Doch zuerst kamen zwei Jugendliche und legten eine Menge Tetra-Packs auf die Bühne. Vereinzelte Klatscher, doch die Show wurde einfach fortgesetzt.

Später kamen dann die Vertreter der AGs auf die Bühne und lasen ihre Forderungen und Selbstverpflichtungen von den zuvor geschriebenen Tafeln vor.  Die Energiegruppe z.B. forderte, mehr Energiesparlampen zu benutzen. Eine Jugendliche meinte: "Wenn man hier bei so einer großen Veranstaltung eine Gelegenheit hat, echt mal was Wichtiges zu sagen, kann man doch nicht Energiesparlampen fordern, das wird die Klimakatastrophe auch nicht verhindern!"

Die Politiker, Experten und einige Journalisten unterschrieben den Vertrag. Danach wurde das Theaterstück 3991 (umgedreht 1993) aufgeführt. Doch die Kinder aus anderen Städten, die bei dieser AG mitmachen wollten, waren nicht begeistert: "Das Theaterstück war schon eingespielt, das machten die Stuttgarter. Wir durften nur hinter so 'ner bescheuerten Wand stehen und zum Schluß heraustreten und 'Wir sind eine Welt' singen!"

Am Sonntag, dem letzten Tag des Kigis, wurde der Markt der Möglichkeiten fortgesetzt.  Auf der SDR-Bühne konnte man Töpfer und Lutzenberger Fragen stellen.  Und - man glaubt es kaum - zum Mittagessen gab es doch tatsächlich Müllermilch in Plastikbechern.

Am Nachmittag, bei der Abschlußfeier durfte Töpfer sich noch mal die Forderungen der AGs anschauen, bis er sich entschloß, die Energiesparlampenforderung zu unterschreiben. "Was möchten sie, den umweltfreundlichen oder umweltfeindlichen Stift?" fragt die Moderatorin. Töpfer entscheidet sich schließlich für den umweltfeindlichen, dreht sich schnell um, unterstreicht das Wort "Energiesparlampe" und unterschreibt.

Einige Minuten später guckte er ein wenig genervt drein, denn ca. 20 Kinder "besetzten" die Bühne und schütteten säckeweise Müllermilchverpackungen auf den Boden und verdeckten die fröhlich weiterplaudernde Moderatorin, mit der umbemalten "Wir sind eine Welt"-Fahne in "Wir haben nur eine Weit". Später erklärten einige von ihnen: "Wir finden das ja ganz doll hier, aber es sind halt einige Schönheitsfehler unterlaufen..." Andere wurden schon konkreter: "Mitbestimmung beim Lehrplan reicht uns nicht, wir wollen die Abschaffung der Schulpflicht!" Als Krönung der ganzen Veranstaltung beichteten die Organisatoren noch was zum Schluß.  Der Reiseproviant bestände wieder aus Tetra-Packs, Bifi-Wurst und in Alu gewickelte Kekse. Man könne es ja an die Leute der Mensa zurückschicken ... Der nächste Kindergipfel soll höchstwahrscheinlich 1995 in Berlin-Köpenick im Freizeit- und ErholungsZentrum Wuhlheide stattfinden. "Was soll's meckern, machen wir's besser!" kommt von Seiten der Berliner.

Benni

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